Hier sind Kommentare von Karl-Friedrich Weber zum Thema Forstwirtschaft und Klimawandel eingestellt.
Voranstellen möchte ich einen Auszug aus einem Vortrag, den Dr. Lutz Fähser als Tagungsabschluss auf der BUND-Fachtagung „Naturschutz und Forstwirtschaft im Wandel“ (2016) gehalten hat, vollständig zu finden hier:
„These: Referenz für die zukünftige (Über)Lebensfähigkeit von heimischen Baumarten und Wäldern können Natürliche Waldgesellschaften und tatsächliche Urwälder sein. Referenzen aus forstwissenschaftlichen Versuchsflächen und naturfernen Wirtschaftsforsten in Deutschland sind wenig aussagekräftige Konstrukte.
Forstwissenschaft und Forstwirtschaft prüfen angesichts des deutlichen Klimawandels die Angepasstheit und zukünftige Anpassungsfähigkeit der wichtigsten heimischen Wirtschaftsbaumarten. Außerdem suchen sie nach nicht-heimischen, meist schnellwachsenden Holzarten, die die erwartetenKlimaänderungen gut oder besser vertragen können. Die Suche nach dem zukünftigen Potenzial der Baumarten stützt sich in Deutschland auf Messungen und Beobachtungen in Kunstwäldern (man made forests) mit gestalteten Strukturen und Konkurrenzen und nur kurzen Lebens- und Produktionszeiten. Verschiedene Eingriffsvarianten wurden im Hinblick auf wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit geprüft. Eine genetische Anpassung an den spezifischen Standort und ein umgebendes Ökosystemkonnte nicht stattfinden. Betrachtet werden einzelne Bäume bzw. Baumarten (die Buche, die Tanne), nicht aber eine natürliche, anpassungsfähige natürliche Waldgesellschaft mit diesen Bäumen. Folgerungen aus den Messungen stützen sich also auf die Addition von Einzelbaumbeobachtungen in Kunstwäldern. Solche Beobachtungen sind keine tauglichen Referenzen für den gegenwärtigen und zukünftigen Waldbau in Deutschland – und damit auch nicht für einzelne Baumarten. Zukünftiger Waldbau ist auf die Entwicklung von naturnahen Dauerwäldern ausgerichtet, deren dynamische Anpassungsfähigkeit den Urwäldern näher steht als den bisherigen Kunstwäldern als Addition von Einzelbäumen. Ein funktionsfähiges naturnahes Waldökosystem ist weit mehr als die Summe künstlich eingebrachter Einzelbäume.“
06. 09. 2018:
Der Forstberater und Fachgutachter Dipl.-ForstIng. Thomas Struwe hat am Donnerstag, 6. September 2018 nachstehenden Brief an Bundeswaldministerin Julia Klöckner geschrieben:
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Sehr geehrte Frau Klöckner,
ich werde mich kurz fassen, stehe Ihnen aber selbstverständlich für ausführliche Erläuterungen zur Verfügung.
Aus der NDR-Berichterstattung habe ich erfahren, dass Sie sich heute über die „Notlage“ der Forstbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern nach dem Dürresommer informieren möchten. Wie es dargestellt war, geht es vornehmlich privaten Waldbesitzern um finanzielle Hilfen, da ihnen Forstkulturen vertrocknet wären.
In meiner Laufbahn als selbstständiger Forstberater bin ich weit in Deutschand herumgekommen und hoffe, dass Sie diesen unsinnigen Forderungen nicht nachgeben, vornehmlich aus zwei Gründen:
1.) In gut geführten Wirtschaftswäldern ist die Pflanzung von Kulturen die absolute Ausnahme, die potientiellen Schäden können folglich nicht existentiell sein. In solchen ungleichaltrigen Wäldern setzt man konsequent auf natürliche Ansamung (Naturverjüngung). Diese Dauerwälder weisen neben höherer Artenvielfalt höhere Diversität und Pflanzenzahlen auf.
Sie sind daher weitaus resilienter gegenüber den aktuellen und künftigen Folgen des Klimawandels.
Forstbetriebe, deren Betriebsweise hingegen auf gepflanzte Forstkulturen setzt, sind nicht zukunftsfähig und garantieren weiterhin enorm hohe und unkalkulierbare Risiken/ Belastungen für die Gesellschaft.
2.) Sehr wahrscheinlich sind große Teile der betroffenen Kulturen bereits einmal durch Steuergelder finanziert angelegt worden. Diesem Irrtum weiteres Geld hinterherzuwerfen bedarf genauer Prüfung.
Es wäre ein Unglück, wenn am Beginn des Klimawandels die Weichen auf eine Verfestigung sog. bad forestry, also einfach schlechter Forstwirtschaft, gestellt würden. Ihre Reaktion auf die absurden Vorstellungen nach Schadensersaz haben möglicherweise grundlegende Bedeutung für die Mitigation der Folgen des Klimawandels in der Forstwirtschaft.
Ich schlage vor, als Soforthilfe ausschließlich Maßnahmen zur Förderung der Naturverjüngung zu unterstützen (Zaunbau, Vegetationsregulierung, Abschussprämien). Langfristig am wirksamsten wäre sicherlich die Reform des Bundesjagdgesetzes.
07. 02. 2018:
Die dynamischen Eigenschaften komplexer Systeme wie die der Waldökosysteme werden vor allem in den Prozessen sichtbar, die zu ihrer Entstehung führen. Diese Prozesse sind emergent und selbstorganisiert. Jeder emergente Prozess erzeugt aus Elementen, die untereinander Wechselwirkungen haben, Systeme mit höherer Komplexität. Emergente Prozesse sind meist dissipativ und autokatalytisch und deshalb nichtlinear. Ihr Ablauf ist durch das deterministische Chaos bestimmt.
Der Wald auf den Bildern ist seit über 60 Jahren nicht genutzt worden. In ihm werden zunehmend Prozesse erkennbar, die mit den geläufigen forstwirtschaftlichen Mustern nicht übereinstimmen. Wälder dieser Entwicklungsgeschichte werden deshalb zu wertvollsten Objekten der modernen Komplexitätsforschung, die eine umfassende Erweiterung der oft reduktionistisch überkommenen Ökosystemforschung ermöglicht.
Sie werfen aber auch die Frage nach der Ausrichtung forstwirtschaftlicher Forschung auf, wie sie offenbar nach dem Ergebnis der aktuellen Koalitionsverhandlungen größere finanzielle Unterstützungen erfahren soll, als bisher. Der Schlüsselbegriff ist dabei „Klimaauswirkungen“, dem sich, soweit augenscheinlich, immer noch in einer veralteten wissenschaftlichen Form des Reduktionismus genähert wird. Heute wird diese Wissenschaft zunehmend als nicht zielführend erkannt. Das daran festgehalten wird, hat vielschichtige Gründe, die zu analysieren und diskutieren sind.
Die Stürme der vergangenen Monate mit ihren jeweils deutlich unterschiedlichen Wirkungen in diesem Beispielbestand machen ein faszinierendes Fenster auf und scheinen die Beobachtungen sensibler Waldpraktiker zu bestätigen. Die Dynamik in Buchen-Eichen-Wäldern ist vielfach eine andere, als heute immer noch in standardisierter Form an den Fakultäten gelehrt wird, wie uns Studenten berichten.
Forstwissenschaftler wie Stefan Korpel jedoch werden in den bahnbrechenden Hypothesen ihrer Urwaldforschung bestätigt.
Karl-Friedrich Weber
Fotos: Karl-Friedrich Weber
Kronenbruch und vereinzelter Baumwurf aus mehreren Sturmereignissen (im Laub vom Oktober/November) in einem 154jährigen Buchen-Eichen-Hainbuchen-Mischbestand. Das Alter wurde von der Forsteinrichtung fortgeschrieben und muss nicht stimmen. Wahrscheinlich ist der Bestand wesentlich älter. Die Buchen befindet sich in der Zerfallsphase, die Stieleiche erhält neuen Kronenraum und zeigt keine Alterungserscheinungen auf. Das entspricht der Dynamik, die KORPEL aus den Karpaten beschreibt.
17. 08. 2017:
Es ist schon eine Kunst, in wenigen Zeilen fast die gesamte Palette an Aussagen unterzubringen, wie sie in ganz Deutschland auf ungezählten Veranstaltungen den Medien und der Bevölkerung entgegengebracht werden:
Der Klimawandel sei Ursache und nicht etwa falscher Waldbau auf falschen Standorten, deshalb „Waldumbau“, begründet mit einem Sammelsurium fachlicher Einsichten:
Bunte Mischung, nur nicht zuviel Laubholz, u.a. wegen der „sterbenden“ Esche und des bereits jetzt zu hohen Anteils.
Absinkende Pegelstände, die von den flachen Wurzeln nicht mehr erreicht werden, „klimafester“ Umbau von „trägen“ Wäldern, weg von der Fichte, aber Erhalt der Nadelbäume, nachdenken über die Küstentanne, statt Douglasie, obwohl das Betriebsrisiko wegen der Spätfröste und des Pilzbefalls steige, also doch lieber nicht, sondern besser Douglasie … und dergleichen mehr …
Die Forstwissenschaft sollte sich die besorgte Frage stellen, inwieweit sie zu diesen wirren Vorstellungen beigetragen hat.
Armer Wald der Zukunft, es ist zu befürchten, dass sie Dich allein lassen … wieder einmal.
[ = Kommentar zu: „Der Wald in Baden-Württemberg muss wegen des Klimawandels umgebaut werden“ , Schwäbische Zeitung 15.08.2017 ]