Diskussion SRU – 14 ForstProfessoren

Diskussion zwischen dem Sachverständigenrat für Umweltfragen und 14 die Argumentation der Forst- und Holz-Interessengruppen vertretenden Forstwissenschaft-Professoren

über die (Nicht-)Notwendigkeit von Waldumbau aufgrund des Klimawandels

Eine sehr interessante und Positionen erhellende Diskussion gab es 2012, nachdem der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), ein unabhängiges Sachverständigen-Gremium mit dem Auftrag, die Politik zu beraten, am 4.6.2012 ihr „Umweltgutachten 2012“ mit dem Untertitel „Verantwortung in einer begrenzten Welt“ veröffentlichte.

http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2012_06_04_Umweltgutachten_HD.html

Darin geht es unter Punkt 6 ab S. 211 auf knapp 30 Seiten um die „umweltgerechte Waldnutzung„.

Der Inhalt dieses Textes missfiel einer Gruppe von 14 Forst-Professoren, (darunter auch Prof. Dr.  Hermann Spellmann, s. Diskussion mit Herrn Panek im Nachbar-Menüpunkt), sie veröffentlichten daraufhin am 27.7.2012 folgenden Text: „Einseitig, widersprüchlich und teilweise falsch – Forstwissenschaftler bemängeln Umweltgutachten 2012 des SRU„, in dem sie das Kapitel „Umweltgerechte Waldnutzung“ des Gutachtens heftig kritisieren – nicht zuletzt verletze es gar elementare wissenschaftliche Qualitätsstandards!

https://mediatum.ub.tum.de/doc/1120855/1120855.pdf

http://literatur.ti.bund.de/digbib_extern/dn051022.pdf

Dies konnte der Sachverständigenrat natürlich nicht unerwidert so stehen lassen, und veröffentlichte 18 Seiten Gegenargumentation: „Umweltgerechte Waldnutzung – Gut begründet und erforderlich. Anmerkungen zur Kritik einer Gruppe von Forstwissenschaftlern am Kapitel 6 „Umweltgerechte Waldnutzung“ des Umweltgutachtens 2012 „Verantwortung in einer begrenzten Welt“.

http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/06_Hintergrundinformationen/2012_09_12_Brief_Umweltgerechte_Forstnutzung.pdf?__blob=publicationFile

Die Liste der 14 kritisierenden Forstprofessoren ist sehr aufschlussreich, bekommt man doch einen kleinen Einblick über die Professoren und Institutionen, die die Sichtweise und Argumentation der Forst- und Holz-Interessengruppen vertreten. Besonders aktuell ist nicht zuletzt Punkt 4: „Naturnähe und Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel“, (S. 7 f) , da sehr viele Eingriffe (z.B. Hessisches Ried) oder geplante Eingriffe (Steigerwald) auch in alte FFH-Laubwälder mit der Notwendigkeit der Schaffung klimaresistenter Mischwälder (in die auch schnellwachsende Baumarten aus Übersee gepflanzt werden) gerechtfertigt werden, um (vorgeblich andernfalls) sterbende Waldlandschaften zu verhindern.

Hier Zitate aus der Diskussion:

1 )

Umweltgutachten des Sachverständigenrates für Umwelt (SRU) 2012, S. 223:

6.2.6.2 Konflikt: Waldumbau und Klimawandel

373.

Im politischen Diskurs um die Rolle des Waldes im Klimawandel stehen sich im Wesentlichen zwei Argumentationslinien der beteiligten Akteure gegenüber.

Die eine Seite stellt Wälder mit natürlicher Dynamik als Grundlage des Wirtschaftens sowie den Naturschutz in den Vordergrund. Unter dem Zielaspekt Naturschutz werden die Wälder als vom Klimawandel bedrohte Ökosysteme und infolgedessen die Stärkung ihrer Anpassungsfähigkeit (Resilienz) mit dem Argument in den Fokus gestellt, dass Wälder anfällig für den Klimawandel sind und durch intensive Nutzung noch anfälliger werden. Der Schutz der Ökosysteme bildet dieser Ansicht nach daher die Basis einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Naturnahe Wälder mit standorttypischer Baumartenzusammensetzung bildeten gleichzeitig die Grundlage für die Erhaltung der Biodiversität. Durch Naturverjüngung würde das genetische Potenzial und damit die Angepasstheit und Anpassungsfähigkeit erhalten (FRITZ 2006). Alte Bestände heimischer Baumarten, die geschützt oder naturnah in artgemäß langen Zyklen bewirtschaftet werden, sollten daher das Managementziel sein. Alte Bäume seien naturschutzfachlich von großer Bedeutung, weil sie Lebensgrundlage für viele seltene Arten sind (vgl. Tz. 347 f.) und einen bedeutenden, konstanten Gen-Pool darstellen, der die Anpassungsfähigkeit der Wälder erhöht. Die Unterstützung der Arten- und Bewirtschaftungsvielfalt, die Vergrößerung von Schutzgebieten sowie die Einrichtung von Biotopverbünden stellten daher zentrale Maßnahmen zur Anpassungan den Klimawandel dar.

374.

Erwerbswirtschaftlich orientierte Forstbetriebe auf der anderen Seite betonen hingegen vor allem ihren Beitrag zur Mitigation des Klimawandels durch eine Steigerung der Holzproduktion. Sie rechnen geerntetes und verarbeitetes Holz dem Kohlenstoff-Produktspeicher zu (Tz. 361). Eine Diversifizierung der Baumarten sollte ihrer Ansicht nach auch nicht-heimische Arten mit einschließen, die an zukünftige Klimabedingungen besser angepasst seien. Allerdings birgt der Anbau nicht heimischer Baumarten eine Reihe von Risiken: Es kann zur unkontrollierten Ausbreitung und Verdrängung heimischer Arten sowie zu Hybridisierungen kommen, Standorteigenschaften können verändert, die Diversität der Ökosysteme negativ beeinflusst und Parasiten und Pathogene eingeschleppt werden. Eine Abschätzung der langfristigen ökologischen und ökonomischen Folgen des Einbringens nicht-heimischer Arten ist bislang kaum möglich (REIF et al. 2010; 2011).

Insgesamt konkurrieren unterschiedliche Nutzungsansätze um die Wälder. Es besteht die Gefahr, dass sich hierbei die Ansprüche der kommerziellen Holzproduktion auf Kosten anderer Ziele wie Klima- und Biodiversitätsschutz durchsetzen.

375.

Neben der Baumartenwahl betreffen konfligierende Auffassungen zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft vor allem das maximale Erntealter …

2 )

Die Entgegnung von 14 Forstwissenschaft-Professoren:

„Einseitig, widersprüchlich und teilweise falsch“

Abschnitt „Naturnähe und Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel“:

„Naturnähe von Wäldern wird seitens des SRU als grundsätzlich positiv für deren Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel angesehen (SRU, 2012, S. 347 unten). Allerdings sind gegenwärtig naturnah aufgebaute Wälder (im Sinne der potenziellen natürlichen Vegetation, pnV) je nach Ausmaß des Klimawandels u.U. schlecht an zukünftige Verhältnisse angepasst, wenn sich die Verbreitungsgebiete der Baumarten verändern (vgl. Bolte und Ibisch 2007). Wichtige Baumarten mit einer derzeit natürlichen Verbreitung in Deutschland wie die Fichte in Hochlagen oder die Buche in heute schon trockeneren Teilen Deutschlands werden als potenziell gefährdet angesehen (Geßler et al. 2007, Kölling et al. 2009). Der Aufbau von Mischwäldern mit Baumarten, die eine unterschiedliche Klima- und Standortsanpassung haben, wird daher als Mittel der Wahl angesehen (Bolte et al. 2009a, b). Dabei müssen nicht standortheimische Baumarten (z.B. Eichen auf sekundären Standorten), nicht-autochtone Herkünfte einheimischer Baumarten sowie auch bislang nicht heimische Baumarten bewusst in die Überlegungen einbezogen werden, um eine Vielfalt möglicher Baumanpassung zu gewährleisten (u. a. Albert u. Schmidt 2010, 2012, Spellmann et al. 2011). Dementsprechend kann auch der Empfehlung des SRU nicht pauschal gefolgt werden, zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel Schutzgebiete auszuweiten (SRU, 2012, S. 356 unten). Schutzgebiete sind in der Regel durch eine hohe Naturnähe gekennzeichnet. Nicht die bisherige Naturnähe gewährleistet jedoch eine geringe Anfälligkeit gegenüber Klimaänderungen, sondern die Angepasstheit an die zukünftigen Klimabedingungen.“

 

3 )

Gegenargumentation des Sachverständigenrats für Umwelt (SRU):

Erwiderung in „Umweltgerechte Waldnutzung – Gut begründet und erforderlich“, Punkt 4: „Naturnähe und Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel

 „Hinsichtlich der Einschätzung der Anpassungsfähigkeit naturnaher Wälder an den Klimawandel besteht offenbar ein grundlegender Dissens. Wie in Abschnitt 6.2.6.2 des Umweltgutachtens dargestellt, gibt es unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der Maßnahmen zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit von Wäldern an den Klimawandel. Der SRU spricht sich für eine möglichst große Naturnähe aus. Wie auch zum Beispiel REIF et al. (2011) zeigen, erleichtert ein naturnaher Wald durch natürliche Prozesse wie Sukzession und Evolution die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels. Alte Wälder mit einer hohen Komplexität und Funktionsvielfalt sind durch eine große Resilienz gekennzeichnet und spielen eine wichtige Rolle bei der Mitigation des Klimawandels (NORRIS et al. 2012). Mischwälder mit einer Vielfalt von Baumarten, die unterschiedliche Klima- und Standortanpassung haben, können auch mit standortheimischen Arten erreicht werden. Um dies zu unterstützen, ist die Schaffung eines Verbundes möglichst großer Referenzflächen und Schutzgebiete – insbesondere im öffentlichen Wald – nötig, in denen solche Prozesse ungestört ablaufen können. Den großflächigen Einsatz nicht heimischer Arten lehnt der SRU aus Gründen des Biodiversitätsschutzes sowie der kaum kalkulierbaren ökologischen und ökonomischen Folgen ab. Darüber hinaus betreffen Veränderungen der Standorteigenschaften infolge des Klimawandels auch die nicht heimischen Baumarten.“

 Diese Diskussion blieb natürlich nicht unbemerkt. 2013 veröffentlichte László Maráz im „Kritischer Agrarbericht“ den Aufsatz „Der Wald als Melkkuh„, in dem er auch auf diese Diskussion eingeht:

http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2013/07_Rueckblick.pdf

„… Natürlich hielt sich die Freude auf Seiten der Akteure aus Forstwirtschaftskreisen in Grenzen, denn die Gutachter haben der etablierten, konventionellen Forstwirtschaft nicht nur ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt. Auch die Empfehlungen der Wissenschaftler zählen zu den Hausaufgaben, vor deren Erledigung sich die Forstwirtschaft schon seit Jahrzehnten erfolgreich drückt. …“

Auch das Magazin „GEO“ widmete diesem Streit am 20.08.2012 einen lesenswerten Artikel: „Streit um den Wald“

http://www.geo.de/GEO/natur/oekologie/umweltpolitik-streit-um-den-wald-72529.html


Hier Beispiele für die Argumentation seitens der Forst- und Holz-Interessengruppen, man müsse unbedingt die Wälder in klimaresistente Mischwälder umbauen, und seien es sehr naturnahe, alte Laubwälder und FFH-Gebiete, gar Nationalpark-Kandidaten:

Prof. i.R. Ernst-Detlef Schulze in einem Interview im Steigerwald:

http://franzjosefadrian.com/ernst-detlef-schulze-ebracher-wald-ist-wie-ein-weizen-oder-maisacker/

Hier ein Zitat aus dem Artikel „Messwerte zeigen: Klimawandel setzt dem Steigerwald zu“ von Norbert Finster aus der Main Post vom 07.10.2015:

„Was sind nun die Folgen dieser Klimaextreme für die Forstwirtschaft? „Forstbetriebsleiter Ulrich Mergner hat eine große waldbauliche Aufgabe, nämlich ein großes Umbauprojekt vor sich“, sagt Dr. Andreas Knorr, Leiter des Amts für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten (AELF) Bamberg.

Der Steigerwald sei an vielen Stellen zu stark Richtung Buchenmonokultur ausgerichtet und brauche eine größere Vielfalt. Denn es sei zu erkennen, dass die Buche besonders stark unter der Klimaveränderung leidet. (…) Deswegen sollten reinen Buchenbeständen zur Risikominimierung andere Baumarten mit besserer Prognose wie zum Beispiel die Eiche beigemischt werden.“

http://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Forstwirtschaft-Klimaveraenderung-Nationalparks;art769,8944014

Hier ein Zitat aus dem Artikel „Klimawandel geht nicht spurlos an der Buche vorbei“ von Norbert Vollmann aus der Main Post vom 13.10.2015: [bezieht sich auf den nördlichen Steigerwald]

„… auch ein noch so imposanter Buchenbestand sei nur eine Monokultur und gegenüber kommenden Schadereignissen wesentlich anfälliger als stabile Mischwälder. (…) Um dem Auftrag des Waldeigentümers gerecht zu werden, pflanze der Forstbetrieb Ebrach Eichen, Ahorne, Tannen und andere tiefwurzelnden Baumarten in die Buchenwälder. Dies ganz nach dem Grundsatz der Bayerischen Staatsforsten, wonach zur Risikominderung an jedem Waldort mindestens vier Baumarten wachsen sollten … „

http://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Klimaveraenderung-Mischwald-Nationalparks;art769,8955293

Hier das Beispiel „Waldbau brutal – Hessisches Ried“ aus dem BUND Waldreport 2016:

„Die Vorgehensweise ist kein Einzelfall: Es ist das erklärte Ziel von Hessen-Forst, die historischen Laub- und Laubmischwälder auf den grundwasserfernen Standorten durch Kiefern-Monokulturen sowie durch Anpflanzungen der Neophyten Küstentanne, Roteiche und Douglasie zu ersetzen. (…) Die Vorgehensweise wird zu massiven Bestandsabnahmen von Schwarz-, Mittel- und Grauspecht führen. Dabei war ein wichtiger Ausweisungsgrund für das Vogelschutzgebiet, dass es zu den besten fünf Gebieten für Schwarz- und Mittelspecht in Hessen gehört. …“

https://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/naturschutz/160129_bund_naturschutz_waldreport_2016.pdf


Inzwischen (10.05.2016) hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen ein neues Gutachten herausgegeben, darin Kapitel 5: „Mehr Raum für Wildnis in Deutschland

http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_Umweltgutachten_Kap_05.pdf?__blob=publicationFile

Der Berufsverband der Förster BDF hat sich dazu folgendermaßen geäußert:

http://www.bdf-online.de/archiv/2016/160518_gutachten.html

Hier ein SZ-Artikel über das SRU-Thema „Mehr Raum für Wildnis in Deutschland“:

http://www.sueddeutsche.de/wissen/sachverstaendigenrat-fuer-umweltfragen-mehr-wildnis-wagen-1.2986132

Hier ein Artikel der TAZ über dasselbe Thema:

http://www.taz.de/Sachverstaendige-zu-Umweltfragen/!5299624/

Ein "Lotse" durch den Info-Dschungel zur Wald-Problematik in Deutschland