Wem gehört der Wald?

Karl-Friedrich Weber                                          Göttingen, 14. Juni 2010

Wem gehört der Wald?

Symposium der HAWK-Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Fakultät Ressourcenmanagement

Vortrag: Heutige Forstwirtschaft – Anspruch und Wirklichkeit

Wem gehört der Wald?

Niemandem

Wer verfügt über den Wald? Die menschliche Gemeinschaft durch Bestimmung Ihrer Ziele und durch die Ethik ihrer gestaltenden und vollziehenden staatlichen Ordnung.

Welche gestaltenden Kräfte werden dabei wirksam?

Die Naturgesetze, die menschliche Erfahrung und das Nichtwissen.

Zitat, OLFM von Hagen „Die forstlichen Verhältnisse Preußens, Berlin 1867:

„Die preußische Staatsforstverwaltung bekennt sich nicht zu dem Grundsatz des nachhaltig höchsten Bodenreinertrags unter Anlehnung an eine Zinseszinsrechnung, sondern sie glaubt, im Gegensatz zur Privatwirtschaft, sich der Verpflichtung nicht entheben zu dürfen, bei der Bewirtschaftung der Staatsforsten das Gesamtwohl der Einwohner des Staates im Auge zu haben und dabei sowohl die dauernde Bedürfnisbefriedigung in Beziehung auf Holz und andere Waldprodukte, als auch die Zwecke berücksichtigen zu müssen, denen der Wald nach so vielen anderen Richtungen dienstbar ist.

Sie hält sich nicht befugt, eine einseitige Finanzwirtschaft, am wenigsten eine auf Kapital und Zinsertrag berechnete reine Geldwirtschaft mit den Forsten zu treiben, sondern für verpflichtet, die Staatsforsten als ein der Gesamtheit der Nation gehörendes Fideikommiss so zu behandeln, dass der Gegenwert ein möglichst hoher Fruchtgenuss zur Befriedigung ihres Bedürfnisses an Waldprodukten und an Schutz durch den Wald zugutekommt, der Zukunft aber ein mindestens gleich hoher Fruchtgenuss von gleicher Art gesichert ist.“

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Der gesellschaftliche Nutzen wird klar in den Mittelpunkt gestellt!

Der Gegensatz zum privatwirtschaftlichen Interesse des höchsten Profits ist deutlich hervorgekehrt.

Nicht der größte Geldertrag des als Geldkapital gedachten Waldes ist maßgebend, sondern der möglichst hohe Realnutzen der der Volkswirtschaft in dem vorhandenen Wald zur Verfügung stehenden Naturchancen. Das ist den Menschen dienender Naturschutz pur!

Ab den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts brachte die auf Schmidtschem Boden stehende Richtung hauptsächlich den privatwirtschaftlichen Gesichtspunkt zur Geltung:

Jeder Waldbesitzer, ganz gleich, ob Privat oder Staat habe nach der bestmöglichen Ausnutzung und Verzinsung seines im Walde gegebenen Tauschwertkapitals zu wirtschaften. Aus der Versorgungswirtschaft wurde also eine Erwerbswirtschaft.

Die höchste Rentabilität war ihr Inhalt, aufgebaut auf dem fundamentalen Irrtum der Schmidtsche Lehre, dass das, was den Privatmann reich mache, auch zugleich die Gesamtheit bereichere und ihre Wohlfahrt fördere.

Die Privatwaldbesitzer haben diese Lehre übrigens immer mit großer Skepsis betrachtet und werden heute, über hundert Jahre später, im Wege der forstlichen Beratung gedrängt, diese Skepsis aufzugeben.

(Skepsis in der altgriechischen Bedeutung bedeutet nicht misstrauen, sondern sorgfältige Überprüfung)

Hartig formuliert:

„Das Ziel ist, in möglichst kurzer Zeit, bei möglichst geringem Aufwand, möglichst viel und möglichst nutzbares Holz zu erzeugen.“

Lemmert, Forstassessor kommentiert :

„Obwohl solcher Wortzauber in der modernen Forststatistik eine bedeutende Rolle spielt, vermag niemand an einem Ertragstafelwalde, an dem ihm nichts unbekannt ist, was Zeit, Masse und Maß der Nutzbarkeit (Preise) anbetrifft, geschweige dann an einem wirklichen Walde zu berechnen.“

Der geheime Staatsrat Wilbrandt aus Darmstadt folgert:

Es ist durchaus begreiflich, dass viele junge Forstleute nach Abschluss ihres Studiums in diesem Wahne befangen sind. Aber in der Forstwirtschaft ist es unbedingt erforderlich, den aus jener Lehre hervorgegangenen Druck, der zu falschen Maßnahmen verführt, von den Wirtschaftern zu nehmen und ihn von den Fesseln der Zinseszinsrechnung zu befreien.“

Tautologie:

Größtmöglicher Nutzen bei möglichst geringen Kosten.

Ziel der Wirtschaft ist nicht, möglichst viel Holz zu nutzen, sondern

  • In der Erwerbswirtschaft die Rentabilität, der Profit, der Ertrag
  • In der Volkswirtschaft das Maß der Fähigkeit, den derzeitigen und zukünftigen Bedürfnissen zu dienen, des Wertes, der Erzeugung einer wirtschaftlichen Nützlichkeit, der Naturergiebigkeit, der Kraft der Erzeugung körperlicher und geistiger Arbeit!

Naturergiebigkeit, das ist Bodenschutz, Biodiversität, Erholung, geistige Erbauung, Kultur – Nutzbarkeit, nicht Nutzung.

Was für Gegensätze! Und die sollen in einem Forstlichen Landesbetrieb vereint werden können?

Da Marktpreise keinen Maßstab für den gesellschaftlichen Nutzen bilden, können sie schon aus diesem Grund theoretisch nicht den Prinzipien der volkswirtschaftlichen Produktivität entsprechen.

Die größte Rentabilität sagt über die Größe des gesellschaftlichen Nutzens gar nichts aus. Sie gibt lediglich Auskunft über das Verhältnis der Mittel zum erzielbaren Nutzen.

Im Allgemeinen hat das Rentabilitätsprinzip eine der volkswirtschaftlichen Produktivität entgegengesetzte Tendenz.

Die in einer geschlossenen Wirtschaft vorhandenen Güter sind Produktivkapital und Konsumgüter.

Zum Produktivkapital rechnen Grund und Boden, Wald, Maschinen, Tiere Pflanzen, Boden, Grundwasser usw.

Konsumgüter sind für den Verbrauch bestimmt und gehen damit unter.

Das Geldkapital gehört nicht dazu. Es ist lediglich eine Anweisung, eine verkehrswirtschaftliche Verfügungsgewalt über die Güter der genannten Kategorien.

Wenn Altholz, das nur einen geringen Zuwachs hat, geerntet und dem Konsum zugeführt wird, wird Produktiv-Kapital in Konsumkapital überführt.

Es geschieht weiter nichts, als dass die wirtschaftliche Verfügungsgewalt von A nach B geht, wobei B sie u.U. nicht einmal mit so großem wirtschaftlichem Nutzen handhabt, wie A.

Wer also aus weniger gut rentierendem Holzkapital besser rentierendes Geldkapital macht, handelt privatwirtschaftlich. Er vermindert das Produktivkapital, verringert die Quelle des gesellschaftlichen Nutzens und verstößt dadurch gegen das Hauptprinzip der gesellschaftlichen Produktivität.

Lemmert 1920:

„Die konsumtive Verwendung des Geldkapitals z.B. zur Schuldentilgung oder Ergänzung des Staatshaushaltes verstößt gegen das Prinzip der Nachhaltigkeit.

Im Wirtschaftsprinzip der finanziellen Umtriebszeit sind die Prinzipien der volkswirtschaftlichen Produktivität nicht enthalten.

Da die Kapitalbildung an der Stelle der größten Rentabilität stattfindet, fließt im volkswirtschaftlichen Wirtschaftsprozess das Produktivkapital bildende Geldkapital nicht an die Stelle der größten, sondern an die Stelle der geringsten volkswirtschaftlichen Produktivität.“

Adam Müller:

„Die Aufgabe des Staates besteht darin, die egoistische Ausnutzung der Knappheit an Gütern gerade des elementaren Bedarfs zu unterbinden.

Die Entwicklung der Staatsforstwirtschaft ist nur eines der vielen Beispiele dafür, wie allmählich der Produktionsgedanke aus dem Volk entschwindet und dem Rentabilitätsprinzip seinen Platz einräumt.“

Eberbach, Satire in SILVA 1920:

„Am Anfang war die Ertragstafel und die Umtriebszeit.

Und der Herr schuf mit ihrer Hilfe den Normalwald und gebot den Menschen, dass sie keine andere Waldform neben ihm haben sollen.“

Wo stehen wir heute?

Eigentlich da, wo die Gesellschaft und ihre Vordenker vor über hundert Jahren auch standen.

Goethe lässt Faust sagen:

„Original fahr hin in Deiner Pracht. Wer kann was dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht?“

Der Anspruch wurde damals klar herausgearbeitet, die Widersprüche erkannt. Sie sind prinzipiell zeitlos und gelten auch heute noch.

An den Handlungsmustern hat sich trotz wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts und einer Weiterentwicklung gesellschaftlicher Ziele fast nichts geändert.

Anstaltsgesetz = unauflösbarer Widerspruch von Rentabilität und Produktivität

Wie wird der notwendige Diskurs geführt? Kritischer Rationalismus, Weg zur Annäherung an die Wahrheit

Welche Ethik ist Grundlage unseres Wirkens?

Sind die Prinzipien von Redlichkeit und Moral bewusste Begleiter aller Handlungen? Gibt es verbindliche Tugenden? Wenn ja, welche?

Was bedeuten sie, wie unterscheiden sie sich, welche Folgerungen haben wir zu ziehen?

Wie steht es mit der Erfahrung? – Waldwissenschaft ist eine Erfahrungswissenschaft.

Wie gestaltet sich eine produktive Fehlerkultur im Sinne Karl Poppers, die Fehler auf ihre Ursachen untersucht, statt sie mit bombastischen Phrasen zu vertuschen?

Forestry at its best?

Wir verlieren uns im Wust gesammelter Informationen, die wir nicht in die vernünftige Betrachtung des Ganzen einordnen können und verlieren dadurch auch Erkenntnisse, weil der Verstand, zumal der Fachverstand, dem wir so huldigen, nur das Detail denkt.

Ich weiß, dass ich nichts weiß und das nur ungefähr, die Erkenntnis des Sokrates wurde von Karl Popper zum kritischen Rationalismus weiterentwickelt

Wir verwechseln weiterhin Rentabilität und Nutzen und verlieren damit die elementaren Ziele aus den Augen, die Grundlage unseres dienenden Auftrags sind.

Produktionswert des Waldes heißt heute wie damals, die Nutzbarkeit der Naturgüter zu erhalten. Es ist der Auftrag des Wirtschafters, nämlich des Volkes.

Der öffentliche Wald ist der Wald der Bürger, also ein Bürgerwald, kein Försterwald, kein Naturschutzwald, kein Wald, der Partikularinteressen gleich welcher gesellschaftlichen Gruppe auch immer dienen kann. Alle haben nur eine partielle Kompetenz.

Der Boden unter unseren Füßen schwimmt. Man nennt das Unsicherheit. Diese Unsicherheit wächst. Das ist gut so. Sie nimmt uns den Hochmut.

Nur aus Unsicherheit kann Fortschritt erwachsen!!

Aus dieser Einsicht erwächst das erforderliche Maß an Bescheidenheit, das der Diskussion im Cluster Forst und Holz derzeit fehlt. Es ist eine der Hauptursachen des zunehmenden Dissenses zur Gesellschaft, die viele so verstört, weil sie in der Befangenheit ihrer Denkschablonen dieses Phänomen nicht verstehen.

Aber auch der privateigene Wald unterliegt dem verfassungsgemäßen Nutzen für die Allgemeinheit, wenn auch in anderer Ausprägung, im Rahmen der verpflichtenden Sozialbindung.

Vielleicht ist das die einzige Fortentwicklung der gesellschaftlichen Ordnung von der Verpflichtung des Hauswirtschafters im Deutschen Reich der Kaiserzeit zur heutigen Verantwortung in der parlamentarischen Demokratie.

Wissenschaft und Versuchswesen, Betriebe und Verwaltungen haben hier eine Sorgfaltspflicht, keine Verantwortung.

Die hat nur der Wirtschafter, das Volk. Es belehnt die zuständigen verfassungsgemäßen Organe mit dieser Verantwortung auf Zeit.

Wem gehört nun der Wald? Da halte ich mich lieber an Sokrates:

Ich weiß, dass ich es nicht weiß. Und das nur ungefähr.

Ein "Lotse" durch den Info-Dschungel zur Wald-Problematik in Deutschland