Fundamente

30. 08. 2017 :

Wissenschaft und Glaube

Naturwissenschaft, Metaphysik und Glaube scheinen unvereinbare Welten zu sein. Die großen Physiker des vergangenen Jahrhunderts haben jedoch sehr wohl über das nachgedacht, was nicht durch ihre Gleichungen ausgedrückt werden kann und doch wirklich ist.

Der Physiker Hans-Peter Dürr, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg und geistiger Weltbürger, ist 2014 im Alter von 85 Jahren verstorben. Seine Gedankenschärfe und Weitsicht sind Welten von einer Sicht entfernt, die alles, was nicht in ihr vermeintlich wissenschaftliches Bild fällt, als Esoterik wertet.
____________________________________________________________

Hans-Peter Dürr:

„Wir dürfen uns nicht beeindrucken lassen von den Wissenschaften, die sagen, wir können sagen, was die Zukunft uns bringt. Das ist eine alte Wissenschaft, die überholt ist.

Wenn etwas passiert, dann nicht das, was wir errechnen haben, sondern vor allem etwas, an das niemand gedacht hat.

Einstein: Einer Maus wäre es nie eingefallen, eine Mausefalle zu bauen.

Die Wissenschaft, die für Exaktheit und die strikte Trennung von Subjekt und Objekt steht, erkennt auf einmal selbst, dass sie diese Sichtweise nicht aufrechterhalten kann.

Denn Wirklichkeit ist das, was wirkt, was sich ständig wandelt.

Erforschen heißt: Wir zerlegen ein Ding, schauen uns seine Teile sorgfältig und genau an, zerlegen diese weiter, wenn sie uns noch zu kompliziert erscheinen, mit der Vorstellung, dass wir, wenn wir die Teile am Schluss in umgekehrter Folge wieder mit der gleichen Sorgfalt zusammensetzen, im Wesentlichen zum ursprünglichen Ding zurückkommen.

Aber das Lebendige, was ursprünglich in einer Beziehung zum Ausdruck kam, geht uns bei dieser Prozedur verloren.

Die Naturwissenschaft im alten Sinne versucht, materielle Dinge durch Analyse zu verstehen. Wenn aber das Wesentliche sich immateriell dazwischen abspielt, dann geht es in der Analyse abhanden und fehlt uns aus Unkenntnis bei der nachfolgenden Synthese.

Die Quantenphysik zeigt uns nun gerade: Es gibt im Grunde nichts, was man greifen kann, sondern nur das, was dazwischen ist!

Edward Wilson:
Ohne Instrumente sind Menschen in einem kognitiven Gefängnis eingesperrt … sie sind wie intelligente Fische, die sich … über die äußere Welt wundern … Sie erfinden geniale Spekulationen und Mythen über den Ursprung des sie einschließenden Wassers, über die Sonne und den Himmel und die Sterne über ihnen, und über den Sinn ihrer Existenz … aber alles ist falsch, sie irren sich immer, weil die Welt zu weit entfernt ist von ihrer täglichen Erfahrung, um bildlich einfach erfasst zu werden …“

Wilson hat prinzipiell recht, aber er suggeriert, dass es Naturwissenschaftler mit ihren Instrumenten geglückt sei, aus dem kognitiven Gefängnis auszubrechen.

Tatsache ist, dass, was uns die Quantenphysik offenbart hat, sie nur in einem anderen Gefängnis sitzen, bei dem nicht entschieden ist, ob es wirklich geräumiger und besser ist, als dass eines Menschen, der mit hoher Empfindsamkeit die für ihn direkt erfahrbare, höchst vielfältige Natur wahrnimmt.

Jemand, der keine Instrumente hat, hat einen viel umfassenderen Zugang zur Wirklichkeit. Das Ganze ist reicher als die Summe seiner Teile.

Unsere steigende Schnelligkeit, mit der wir heute alles machen wollen, ist eine große Belastung. Wenn wir alles langsamer machen, können wir mit viel weniger Energie auskommen und dasselbe erreichen.

Die Beschleunigung hat zerstörerische Gewalt. Wir zerstören immerzu. Wir brauchen einen Lebensstil, wie er in den Religionen immer gepredigt, aber nur selten befolgt wurde.

Nach meinem aufmerksamen Handeln muss ich ab und zu zurückgehen und schauen, welche Auswirkungen mein Handeln hatte. Immer wieder nachsehen, in welche Richtung sich das Ganze bewegt und entfaltet. Handeln und Kontemplation
müssen sich ständig abwechseln.“

Quelle:
Hans-Peter Dürr
Geist, Kosmos und Physik
Gedanken über die Einheit des Lebens
Crotona Verlag GmbH, 2010


03. 05. 2017 :

Zum Buch „Arrival of the Fittest – Wie das Neue in die Welt kommt“ von Andreas Wagner

Ökosysteme, Waldressourcen, Biodiversität, Artenvielfalt und zahlreiche weitere Begriffe finden wir im Diskurs um Schutz und Nutzung. Jedes wissenschaftliche Paradigma, jedes gesellschaftliche Ziel benennt und begründet seine Wahrheiten.

Selten werden dabei die Grenzen des jeweiligen Paradigmas überwunden. Nicht einmal im naturwissenschaftlichen Feld, ja, nicht einmal innerhalb von Teilgebieten von Physik, Chemie, Biologie oder Ökologie kommt es zu dauerhaft interdisziplinärem und vor allem vorurteilsfreiem Zusammenwirken, geschweige denn zur selbstverständlichen Überwindung der hohen Mauer zur Philosophie und anderer Geisteswissenschaften.

Nachdem Relativitätstheorie und Quantenphysik den Paradigmenwechsel des 20. Jahrhunderts prägten, wird wohl die Biologie im 21. Jahrhundert prägende Kraft sein, im Guten wie im Bösen.

Die Evolutionsbiologie und ihr sich scheinbar exponentiell entwickelndes Teilgebiet der Systembiologie, dürfte viele Leitbilder des Naturschutzes in einem fundamental neuen Licht erscheinen lassen und zumindest partiell die Schwerpunkte unserer Sicht auf die Welt verändern.

Insbesondere das Verhältnis zwischen Artenschutz und Systemschutz wird sich neu justieren müssen und Fragen der Komplexität werden in den Vordergrund geraten.

Das Buch des Evolutionsbiologen Andreas Wagner und seine Kernaussagen sollten eine wichtige Basisinformation für diesen notwendigen Diskurs darstellen. Es ist für fachunkundige schwere Kost – auch für mich.
Schwere Kost fasziniert mich – man kann sich in ihr so gut verbeißen. Der Lohn ist ein (relatives Mehr) an Einsicht. Deshalb habe ich die Kernthesen des Buches zusammengefasst und hoffentlich ein wenig lesbarer gemacht, um sie zugänglich zu machen. [ s. Link ]

Karl-Friedrich Weber

https://www.bund-helmstedt.de/pdf/Andreas_Wagner_Survival_of_the_Fittest.pdf


26. 09. 2015 :

Fundamente …

Wenn wir über Artenvielfalt, Naturschutz und nachhaltige Ressourcennutzung streiten, spüren wir dabei oft selbst ein Unbehagen, weil uns das feste Fundament zu fehlen scheint, dass Grundlage sein muss, wollen wir uns über gemeinsame Ziele verständigen. Mir ging es jedenfalls vor Jahren so und begann den Kampf gegen meine Denkschablonen – Erfolg natürlich ungewiss.

Der aktuelle Diskurs wird überwiegend als Wettstreit um die Deutungshoheit verstanden, bei dem es Sieger und Besiegte zu geben hat. Wir sind das so gewohnt, weil die Gesellschaft insgesamt so funktioniert und es offenbar nicht darauf anzukommen scheint, ob wir erkennen, was unstreitig zu sein hat, nämlich dass Naturgesetze weder Wertungen noch Abwägungen unterliegen können … sie sind dem Stand der Naturwissenschaft entsprechend wahr.

Waldwahrheit möchte deshalb in weiteren Folgen einen Beitrag dazu leisten, in den Blick und hoffentlich in das Bewusstsein rücken, was den Dingen zu Grunde liegt. Hierzu werden Thesen bekannter Natur- und Geisteswissenschaftler in komprimierter Form benannt.

Diese Leitsätze werden nur in einen losen Kontext gestellt. Sie sprechen für sich – den schlüssigen Zusammenhang zu erstellen, möge Ihnen ans Herz gelegt sein.

Karl-Friedrich Weber


Fundamente Teil 1

Robert Wesson: Chaos, Zufall und die Auslese der Natur (1991)
(Zusammengestellt von Karl-Friedrich Weber am 02.08.2014)

1. Die Ökologen müssen die Wechselwirkungen von Arten und Umwelt noch ergründen. Wir kennen bisher nur ein paar Tropfen aus dem riesigen Tatsachenmeer und die Navigation in diesem Ozean scheint die menschlichen Fähigkeiten weit zu übersteigen.

2. Der Glaube daran, dass sich alles auf eine analysierbare, materielle Ursächlichkeit zurückführen lässt, ist letztlich nur ein Glaube wie jeder andere auch. Natur lässt sich nicht auseinandernehmen, wie ein mechanischer Wecker, in dem Zahnräder, Unruh und Feder klar verständlich zusammenarbeiten.

3. Je größer der Kenntnisstand wird, desto mehr Fragen tauchen auf.

4. Die einzige Quelle wirklicher Neuerungen ist der Zufall (CRICK 1983)

5. Es gibt keine objektive Grundlage dafür, eine Art über eine andere zu stellen (TRIVERS 1976).

6. Die Behauptung, die Gene wären auf eine undefinierbare Weise etwas Elementares, ist eher eine ideologische als eine wissenschaftliche Aussage. Selektion wendet sich nicht an Gene, sondern an Organismen oder Gruppen (und möglicherweise Arten).

7. Ein Organismus steht in Interaktion mit seiner Umwelt und hat eine Bestimmung; ein Gen dagegen ist nur Werkzeug beim Aufbau eines Organismus.

8. Ein grundlegendes Prinzip des Universums ist, was wir als selbstordnende Kräfte bezeichnen können: die Tendenz zur Komplexität, das Entstehen von Strukturen.

9. Der Organismus ist eine Einheit wie eine Kathedrale. Wenn man sie abträgt – so die reduktionistische Vorgehensweise – können wir erkennen, wie die Steine geschnitten und zusammengefügt sind, doch sie vermitteln uns keine Vorstellung von der Erhabenheit des Bauwerkes.

10. Die Natur ist eine riesige, geordnete Wirrnis, eine „spontane Selbstorganisation“ (DAVIES 1988). Entscheidend ist die Interaktion. Zerlegt man ein System, um es zu untersuchen, zerstört man es gleichzeitig.

11. Es ist uns immer noch nicht gelungen, ein einziges organisches Molekül zu verstehen.

12. Entropie ist eine Größe, die die Verlaufsrichtungen eines Wärmeprozesses kennzeichnet. Die Reaktion der Elementarteilchen ist in der Zeit umkehrbar, aber die Essenz des 2. Hauptsatzes ist die Irreversibilität.

13. Die thermodynamische Entropie ist mit der Informationstheorie und dadurch auch mit der Evolution verknüpft. Einige Theoretiker sehen Organismen in erster Linie als Systeme, die den Prozess der Energie zur Entropie verhindern (Negentropie).

14. Auf höherer Ebene werden die Gesetzte einer niedrigeren Ebene irrelevant.

15. Ernst Mayr: „Die Reduktion ist bestenfalls ein nichtssagender, noch häufiger aber ein irreführender und nutzloser Ansatz“ (MAYR 1984).

16. Bisherige Randbegriffe wie Entropie und Komplexität gewinnen in subtilen Verbindungen, die sich einer genauen Analyse Widersetzen, eine neue Bedeutung.

17. Die Entropie erfuhr eine zusätzliche Bedeutung. Bezeichnete sie in der Thermodynamik ursprünglich die Gesetzmäßigkeit, demnach in einem abgeschlossenen System die Wahrscheinlichkeit für einen Zustand umso größer ist, je größer seine Unordnung ist, so erlangte die Entropie eine allgemeine Signifikanz als Teil der Irreversibilität von Ereignissen bzw. als
Erklärung. Das Anwachsen der Entropie impliziert einen Energiefluss, der die Selbstorganisation von Systemen ermöglicht. Die Unvorhersehbarkeit ergibt sich nicht nur aus dem Verhalten von Elementarteilchen, sondern entspringt auch dem deterministischen Chaos.

18. Die gebrochene Symmetrie, d.h. die Tendenz, Gleichförmigkeit zu brechen und dadurch Differenzierung zu erreichen – ist ein entscheidender Faktor in der Entwicklung von Komplexität.

19. Man könnte das Chaos als die Unschärferelation der makroskopischen Welt bezeichnen.

20. Das Chaos stellt die Tendenz nichtlinearer Systeme mit positiver Rückkopplung zu einem Verhalten dar, das deterministisch ist, aber nicht vorausgesagt werden kann. Anstelle von Chaos wäre es sinnvoller, von Unordnung zu sprechen.

21. Das erste Prinzip von Chaos ist die empfindliche Abhängigkeit von Ausgangsbedingungen; unendlich kleine Unterschiede können im Ergebnis zu unendlich großen Unterschieden führen.

22. Eine Störung ist wie eine Kaskade, denn Interaktionen verändern die Bedingungen von weiteren Interaktionen.

23. Chaotische Systeme wiederholen einen früheren Zustand niemals exakt; täten sie das, wären sie nicht chaotisch, sondern zyklisch.

24. Chaos hat eine mathematische Struktur.

25. Ein Attraktor beschreibt die Grenzen, zu denen ein System tendiert – einen Punkt, einen Kreis oder einen Raum.

26. Wo immer eine Energiezufuhr auf einen ungeregelten Zustand trifft, erzeugt das Chaos eine neue und nicht vorherbestimmbare Ordnung. Das ist die Form von Leben, das sich der Entropie widersetzt.


Fundamente Teil 2

Robert Wesson: Chaos, Zufall und die Auslese der Natur (1991)
(Zusammengestellt von Karl-Friedrich Weber am 02.08.2014)
___________________________________________________

27. Evolution ist Geschichte und Geschichte ist interpretierbar.

28. Eine wissenschaftliche Theorie ist kein autonomes Gebilde. Wissenschaftliche Theorien erhalten ihre Form durch die Einstellungen und Voraussetzungen, mit denen Wissenschaftler an die Fakten herangehen. Und diese Fakten wiederum werden entsprechend den Voraussetzungen ausgewählt, die in der „Scientific Communitiy“ und in der Gesellschaft überhaupt vorherrschen.

29. Die Biologie muss sich zunehmend mit Prozessen und Mustern beschäftigen, mit selbst organisierenden und selbst regulierenden Systemen. Wie die Physik ist sie dabei umstellt von Ungewissheit, Unbeständigkeit und Komplexität in einem Universum, das offen und unbegrenzt ist.

30. Die gebrochene Symmetrie ist noch relevanter für die Morphogenese (sie ist das Wesentliche der Morphogenese überhaupt), als für physikalische Systeme unter Belastung. Analog ist sie entscheidend für die Evolution.

31. Je komplexer eine dynamische Struktur ist, umso endogener ist ihr Antrieb. Ihre Veränderung unterliegt nicht nur äußeren Zwängen, sondern hängt auch von den inneren Bedingungen ab.

32. Lebewesen, die komplexesten Strukturen überhaupt, sind am stärksten selbst gesteuert und vermögen, entsprechend ihrer inneren Dynamik, auf äußere Bedingungen zu reagieren.

33. Selbstorganisation ist die Grundlage für die Entstehung von Leben und für die Evolution. Sie steht im Mittelpunkt von Morphogenese, Ökologie und der menschlichen Kultur.

34. Von diesem evolutionären Denkansatz her können Organismen als „autokatalytische, energieverarbeitende Systeme“ betrachtet werden, „die sich weit von jedem Gleichgewicht stabilisiert haben“ und die wegen ihrer energieverarbeitenden Fähigkeiten selektiert wurden (DEPEW und
WEBER 1989). Ihre zeitabhängige Evolution ist an das unvermeidliche Anwachsen von Entropie im Universum gebunden, da ein Energiefluss befähigt, sich selbst zu organisieren (WILKEN 1988).

35. Wir sollten laut Theoretikern wie DEPEW und WEBER Organismen nicht mehr als geschlossene System ansehen, die äußeren Kräften und Zwängen unterworfen sind, sondern als offene Systeme, die äußerlich wie innerlich einem ständigen Wandel unterliegen.

36. In komplexer Wechselwirkung stehend, verändern sich Organismen innerhalb eines ökologischen Umfeldes. Ihre Veränderung ist irreversibel, weil es kein stabiles Gleichgewicht gibt, zu dem sie zurückkehren können. (DEPEW und WEBER 1988)

37. Soweit wir wissen, ist das Leben der am stärksten strukturierte Teil im Ordnungssystem des Universums. Jedes lebende Geschöpf ist ein kleiner Aufstand gegen die Herrschaft steigender Entropie, ein kurzer Sieg für das generative Ordnungsprinzip – ein Sieg, der in jedem Individuum nicht von langer Dauer ist, durch die Vermehrung seiner Anlagen aber eine Breitenwirkung erzielen kann.

38. Für die Evolution musste Chaos existieren, für das es in dem physikalischen Gesetzen keine Notwendigkeit gibt. Chaos muss in der Vielfalt des Lebens eine große Rolle gespielt haben, ebenso wie die gegenläufige Tendenz hin zur Vereinfachung oder zum Abbau von Ordnung.

39. Nach dem II. Hauptsatz der Thermodynamik steigt die Entropie oder Unordnung in jedem geschlossenen System an. Aber das Leben vermag sich über diesen zweiten Hauptsatz hinwegzusetzen, weil es Energie von außen erhält, von der Sonne, deren Strahlung letztlich durch die Ausdehnung des Universums ermöglicht wird.

40. Energieangereicherte Materie tendiert zur Selbstorganisation, zur Komplexität und Struktur.

41. Leben ist ein Prozess, bei dem Energie aufgenommen wird, so dass die Entropie nicht zur Wirkung kommt. Unter Ausnutzung eines winzigen Bruchteils der Sonnenstrahlung, also auf einem genialen Umweg, wird ein Rückfall in den entropischen Verfall vermieden.

42. Um Neuanfänge zu ermöglichen, bedarf es eines Abbaus von einem Teil oder gar einem Großteil der alten Ordnung. Durch diese gegenläufigen Tendenzen gibt sich das Leben neue Impulse.

43. Der Organismus kann nur in der Form reagieren, für die er programmiert wurde und nur auf solche Signale, auf die er vorbereitet ist. Die Umwelt veranlasst geeignete Mutationen nicht von sich aus. Den Organismen gelingt es nicht ohne weiteres, eine Vielzahl nützlicher Merkmale zu entwickeln.

44. Die Morphogenese ist ein kontinuierlicher Rückkopplungsprozess zwischen Zellen und ihrer Umwelt im weitesten Sinne. Dabei übt das ganze System Kontrolle aus und die Adaption betrifft nicht nur die Gene, sondern die Gesamtheit des Wesens (HO 1986)Wenn das Verhalten der mitbestimmende Faktor für evolutionäre Erneuerungen ist (MAYR 1991), dann ist das maßgeblich bewegende Element bei einer Neuerung nicht wie Darwin postulierte eine zufällige Variation, sondern die Entscheidung des Tieres.

45. Das ist logisch, denn Lernen ist zweckgerichtet, die zufällige Variation hingegen mit ziemlicher Sicherheit nicht.

46. Ein Verhalten, das zur Gewohnheit geworden ist, geht in den Bereich des Instinktes über.

47. Die Ausbildung eines Instinktes scheint integratives Lernen in Kombination mit den zuständigen Sinnesleistungen zu erfordern.

48. Der Instinkt ist vom Lernen nicht zu trennen. Wenn selbst ein sehr einfaches Tier lernfähig ist, hat das zur Folge, dass ein automatisches Verhalten gestärkt oder geschwächt wird.

49. Die Schaffung einer neuen Spezies scheint die Abkehr von einem Attraktor zu erfordern.

50. So unterschiedlich domestizierte Arten auch sein mögen, neue Arten bilden sie nicht. Hunde bleiben Hunde. Die Züchter können nur mit dem Reservoir an Variationen, das in den Spezies vorliegt, arbeiten.

51. Katzen haben sich trotz 5000jähriger Domestizierung morphologisch vom Wildtyp kaum entfernt.

52. Die Federn scheinen sich zumindest seit der Zeit des Achaeopterix von 150 Mio. Jahren sehr wenig verändert zu haben. Sie sind bei allen Vögeln ein ziemlich beständiges Merkmal geblieben.

53. Die menschliche Hand lässt sich eindeutig mit dem Vorderfuß eines Krokodils vergleichen obwohl der gemeinsame Urahn schon 300 Mio. Jahre tot ist.

54. Die Vertebraten haben – vom kiefernlosen Schleimaal bis zu den Menschen – zumindest 90% ihrer Gene gemeinsam (LOOMIS 1998).

55. Die Stabilität solcher Muster ist – so klar sie sich uns auch darbietet – nicht leicht zu erklären: Die Grundlagen sind so sehr in der genetischen Struktur verankert, dass Veränderungen entweder ausgeschlossen oder höchst nachteilig sind.


26. 09. 2015 :

was allem zu Grunde liegt – die Naturgesetze – sind gut bekannt, in unserem „Heimatuniversum“ überall gleich und nicht sehr schwer zu benennen … was die Natur daraus gestaltet, ist in seiner unüberschaubaren Vielfalt weder vorhersagbar, noch berechenbar … das ist kein Wunder, aber doch wunderschön …

Wunderschön 26-9-2015


14. 05. 2016 :

Der reduktionistische Ansatz der Naturwissenschaften, das heißt, die Überzeugung, es sei möglich, zu einem Verständnis des Ganzen aus der Analyse seiner Teile zu gelangen, mag nützlich und partiell leistungsfähig sein. Es gibt jedoch wesentliche Aspekte des Ganzen, gegenüber denen er blind ist.
Die Lebendigkeit von Dingen zeigt sich nicht durch Analyse ihrer Teile, sondern nur durch die Erfahrung des Ganzen.

Der Physiker Shimon Malin führt diesen Gedanken fort, in dem er fordert, dass die Wissenschaft der Zukunft das Prinzip der Objektivierung und die reduktionistische Sichtweise überwinden müsse, weil sie sich sonst nicht als geeignet erweise, ein Urteil über die Lebendigkeit von Dingen abzugeben.

Der Physiker Schrödinger hat es so ausgedrückt: „Wir sind uns nicht bewusst, dass ein einigermaßen zufrieden stellendes Weltbild bloß erreicht worden ist um einen hohen Preis, nämlich so, dass jeder sich selbst aus dem Bild ausgeschlossen hat, indem er in die Rolle eines unbeteiligten Beobachters zurückgetreten ist.“

Das hat zu unserer wissenschaftsgläubigen Kultur geführt, in der wir von der Wissenschaft Antworten erhoffen, die gar nicht in ihrem Geltungsbereich liegen.

Auf den Wald bezogen, befindet sich die Forstwissenschaft in diesem Dilemma. Die Ratlosigkeit gegenüber der Behauptung Whiteheads, dass die wissenschaftliche Methodik die Wissenschaft blind für einen wesentlichen Aspekt der Realität mache, nämlich dem Primat der Erfahrung, führt hin zur Ratlosigkeit gegenüber einer öffentlichen Diskussion über den Wald, deren innere Begründung nicht oder nicht mehr verstanden wird.

Karl-Friedrich Weber


21. 06. 2016 :

Wir müssen nur in die Hocke gehen und finden ein völlig anderes Waldbild vor. Was wissen wir vom Kronenraum? Unsere Sicht ist selektiv. Deshalb bildet unsere Wahrnehmung nur einen sehr kleinen Teil der Wirklichkeit ab. Und weil diese Wahrnehmung überdies durch unser Bewusstsein gefiltert wird, besteht keine Chance, die Wirklichkeit unserer Wälder zu erfassen. Die Realität, wenn es sie überhaupt gibt, bleibt uns ohnehin verborgen.

Deshalb können wir uns nur über den Grad der Annäherung an eine Wirklichkeit verständigen, wie sie sein könnte und sich für uns allgemein eröffnet. Alles andere bleibt individuelle Eingebung und Intuition.
Kein Raum für „Experten“, die alles wissen.

Karl-Friedrich Weber


06. 08. 2016:

Was hat das Thema mit unseren Wäldern zu tun? Sehr viel, vielleicht alles.

Wir diskutieren über Ökosysteme, ohne zu verstehen, das wir über Teilsysteme sprechen, die wir erst im Ansatz zu verstehen beginnen. Wir reden über Artenschutz und haben jeweils bestimmte Lieblingsgruppen oder „Sonderlebensräume“ im Auge, über dessen eigentliche Wirkung im System wir fast nichts wissen. Wir reden über naturnahe Forstwirtschaft und befinden uns tatsächlich im vollen aktionistischen Blindflug. Unser Reden und Handeln ist von einer Oberflächlichkeit geprägt, deren Dimension uns nicht einmal bedrückt, weil wir sie nicht erkennen und damit einschätzen können.

Über Entropie, Ordnung, Information, Chaos, Komplexität des Lebendigen, Emergenz haben wir schon einmal gehört, können damit im Rahmen zum Beispiel der Waldstrategien kaum etwas anfangen.

Statttdessen reden wir lieber über Klimawald, sozioökonomische Waldleistungen, Ökodienstleistungen und bemerken in der Benutzung dieser phrasenhaften Wortgebilde nicht einmal, wie eindimensional oder gar einfältig diese sind. Wir müssen sie nicht begreifen, weil deren fast beliebige Inhaltsbestimmung ohnehin nichts über ihren Sinngehalt aussagt.

Aber auch menschliche Konstrukte wie Ökonomie, Wirtschaftlichkeit oder Rentabilität würfeln wir munter durcheinander und verquirlen sie mit der Supervision Nachhaltigkeit. Wer nachfragt, stößt auf Verlegenheitsreaktionen derer, die unentwegt mit diesen Begriffen hantieren.

Die Ursachen der Missverständnisse im Diskurs um richtige Ziele und Wege liegen hier begründet.

Die hunderttausend Galaxien unseres „Heimat“-Superhaufens können uns vielleicht eine Ahnung vermitteln und uns Anstoß geben, auf die Suche nach dem zu gehen, was den Dingen zu Grunde liegt.

Und falls diese Aussage manchem zu weit hergeholt erscheint, sehen Sie es mir einfach nach.

Karl-Friedrich Weber

( Kommentar zum Artikel „Galaktische Struktur unseres „Heimat“-Superhaufens Laniakea“ auf  Radio Utopie vom  31. 7.2016 )


01. 03. 2016 :

Diese Buche stand im Grauhöfer Holz nördlich von Goslar, einem Klosterwald. Ich habe sie als 6-jähriger Junge auf einem Spaziergang am 1. Mai 1951 mit meinem Vater zum ersten Mal gesehen. Sie hat meinem Werdegang und späteren beruflichen Leben einen entscheidenden Impuls gegeben – heute würden wir das wohl als Schlüsselerlebnis bezeichnen.

Die Buche stand auf einer Sandlinse, die von einem großen Dachsbau förmlich durchlöchert war. In den folgenden Jahren fuhren wir als drei naturinteressierte Jungen von unserer Straße ungezählte Male mit dem Fahrrad an diesen für uns geheimnisvollen Ort.

Als wir einer Inspiration aus einem Cowboy-Comic folgten (damals nannten die Erwachsenen so etwas einen Schmöker), gründeten wir den „Bund der Gerechten“ und nagelten ein Schild an die Buche mit der Aufschrift: „Tut mir nicht weh, ich bin die Stütze Eures Lebens“

Der Klosterförster Edmund Hubrich aus Riechenberg erwischte uns auf seinem Motorrad im Flagranti und fragte uns streng, ob wir es denn gut fänden, das Schild mit einem Nagel zu befestigen. Als er unsere Motive erkannte, wurde er sehr freundlich. Es entstand eine intensive erfahrungsvolle Zeit mit ihm.

Vier Jahrzehnte später suchte ich die Buche wieder auf, und alle Erinnerungen waren da. Ich machte dieses Foto. Ein Jahr später wurde unsere Buche von einem Sturm geworfen, teilte mir ein Kollege mit. Es war, als wenn ein Stück von mir verloren gegangen war. Ohne diese (meine) Buche meide ich den Ort.

Foto: Karl-Friedrich Weber

KFWeber-Buche bei Goslar 25-8-2012


 


Ein "Lotse" durch den Info-Dschungel zur Wald-Problematik in Deutschland