Glossen


06. 09. 2015 :

Wer war der erste?

Der erste, der beste zu sein … kaum ein Gesellschaftsspiel wird mit soviel Inbrunst betrieben …

Als ich kürzlich einmal mehr die Aussage eines Forstmannes las, der im Brustton der Überzeugung behauptete, Förster hätten die Nachhaltigkeit erfunden, hat mich das kaum mehr bewegt.

Der größte Unsinn kann zur Gewissheit werden, wir müssen ihn nur mehrmals wiederholen, dann nimmt ihn die Gruppe auf, er wird zum allgemeinen nützlichen Konsens, nicht mehr hinterfragt und zur unumstößlichen Wahrheit.

In der Ausgabe 24/2011 der Forstzeitschrift AFZ- Wald konnten wir ein gutes Beispiel hierfür durch den Leiter der Niedersächsischen Landesforsten, Dr. Klaus Merker, vernehmen, der in einem Artikel historisches großer Dimension verkündete:

„Pathetisch ausgedrückt, hat die Forstwirtschaft mit ihrer Überlebenstrategie, die aus Fehlern des Raubbaus entwickelt worden ist, der Gesellschaft vor 300 Jahren das Nachhaltigkeitsprinzip geschenkt.“

Große Worte, fürwahr.

Der sächsische Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz, der mit der „Sylvicultura oeconomica“ das erste geschlossenen Werk der Forstwirtschaft vorlegte, aber selbst kein Forstmann war, müsste sich über die heutige Erkenntnis des Herrn Dr. Merker eigentlich freuen. Förster standen in seiner Zeit nämlich noch in eher zweifelhaftem Ruf als Vollzieher des Willens ihrer Herrschaft, bei der sie in Lohn und Brot standen.
Böse Zungen behaupten, dass sei auch heute noch so, was jedoch nicht stimmen kann.

Ich glaube trotzdem nicht so recht, dass sich von Carlowitz über das Eigenlob heutiger Tage gefreut hätte. Der Mann hatte nämlich die Fähigkeit zum hanseatischen Understatement in dem er in kluger Selbstbescheidenheit und deshalb umso glaubwürdiger schrieb:

„Es ist sowohl das Säen der wilden Bäume / als auch die Xylotropya oder das Pflanzen / Versetzen / Ausschneiden / Ausputzen nebst anderer Wart- und Pflegung derselben nicht by unserem Gedencken entstanden / sondern ohne Zweifel, wie aus ihren Schriften zu colligieren, ja von Anfang der Welt bekannt und im Brauch gewesen … “

Nun ja, das kann die Selbstsicherheit der heutigen forstlichen Nomenklatura wohl kaum erschüttern; ebenso wenig wie das, was in der Verfassung des Königsreichs Westphalen stand, eines 1807 gegründeten Satellitenstaates, dem Napoleons Bruder Jérome als König vorstand und in dem auch das Territorium des Herzogtums Braunschweig aufging.

Im „Gesetz-Bulletin Nro. 1 – Königliches Decret vom 7. December 1807, wodurch die Publikation der Constitution des Königreichs Westphalens verordnet wird“, heißt es:

„Wir Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Constitution Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des Rheinischen Bundes, haben in der Absicht, den 19ten Artikel des Tilsiter Friedensschlusses schleunigst in Vollzug zusetzen, und dem Königsreiche Westphalen eine Grundverfassung zu geben, welche das Glück seiner Völker sichere und zugleich dem Souverän, als Mitglied des Rheinischen Bundes, die Mittel gewähre, zur gemeinschaftlichen Sicherheit und Wohlfahrt mitzuwirken, verordnet und verordnen wie folget. … “

In dieser Verfassung wurde eine nachhaltige Forstwirtschaft festgeschrieben, in dem soviel Wald nachgepflanzt werden musste, wie abgeholzt worden war.

Woher hat Napoleon diesen genialen Einfall gehabt? Wer war sein Berater?
Hatte er etwa die Sylicutura des Carl von Carlowitz gelesen, obwohl die in deutscher Sprache verfasst war?

Ich vermute, er hat die eigentlichen Erfinder der Nachhaltigkeit, nämlich deutsche Forstleute ausgehorcht und dann die Idee einfach abgekupfert.

Edel war das nicht gerade. Er konnte glücklicherweise sein Plagiat kaum umsetzen, denn acht Jahre später nach der Schlacht von Waterloo und der Einigung des Wiener Kongresses im April 1815 fand diese Episode ein Ende.

Foto und Glosse: Karl-Friedrich Weber

Glosse wer erster 6-9-2015


13. 05. 2016:

„Lange Zeit harrte der Schwäbische Wald in einem selbstgefälligen Dornröschenschlaf. Landkreise, Kommunen, Fremdenverkehrsgemeinschaft und die Institution des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald küssten das Waldgebiet schließlich durch offensive touristische und kulturelle Kampagnen wach. Nicht zu vergessen die vielen engagierten Mitarbeiter, die mit facettenreichen Aktionen der Landschaft zu ihrer Attraktivität verhalfen.“

Was ist ein selbstgefälliger Dornröschenschlaf? Ein Wald, der in Ruhe Naturgut sein darf? Da hilft nur Wachküssen, und zwar durch offensive touristischen und kulturelle Kampagnen und die vielen Mitarbeiter, die aus der Landschaft erst einmal etwas machen. Und da ist noch von Endspurt die Rede. Um welchen Sieg geht es dabei? Und wer sind die Sieger?

Ist das gemeint mit den wachsenden Ansprüchen an den Wald, nach Intensivierung, Übernutzung und übermäßiger Bodenzerstörung nun der aufgesattelte Zugriff von Aktivisten, deren Sprache verrät, wieviel sie von dem Objekt halten, dass sie nun wachküssen müssen?

Die Umweltbewegung hat sich frühzeitig geöffnet gegenüber dem Recht der Menschen auf Zugang zur Natur. Sie wird damit möglicherweise zum Wegbereiter für diejenigen, die im Kielwasser dieser Öffnung ganz andere Interessen entwickeln – vorweg so mancher forstlicher Landesbetrieb. Die Inflation der Hochseilgärten lässt grüßen.

Das zwingt zum Nachdenken über und größerer Sensibilität für das, was wir an Eigendynamik bewirken und was von der Natur auf der Strecke bleiben könnte, wenn wir nicht aufpassen.

Karl-Friedrich Weber

[ = Kommentar zum Zeitungsartikel „Schwäbischer Wald – Kulturlandschaft des Jahres“ von Karl-Heinz Rückert aus der Südwest Presse Rundschau vom 12.05.2016]

http://www.swp.de/gaildorf/lokales/gaildorf/Schwaebischer-Wald-als-Kulturlandschaft-des-Jahres-Erfreuliche-Zwischenbilanz;art1223023,3830934

Ein "Lotse" durch den Info-Dschungel zur Wald-Problematik in Deutschland