Forstwiss. Diskurs

Beiträge zum forstwissenschaftlichen Diskurs

Veröffentlicht von Karl-Friedrich Weber auf seiner Facebook-Seite „Waldwahrheit“


10. 01. 2019 :

Beiträge zum forstwissenschaftlichen Diskurs Nr. 1 – 2019

Der SPIEGEL-Bericht in Nr.2/5.1.2019 zitiert:

„So sehen das auch viele Forscher. „Ich kann nicht erkennen, dass die Forstwirtschaft die Habitatqualität ruiniert“, sagt Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde. Er beruft sich auf Daten der Bundeswaldinventur, einer Bestandsaufnahme des Waldes, die zuletzt 2012 durchgeführt wurde. Demnach wächst mehr Holz nach, als den Wäldern entnommen wird. Die Forste hätten die „höchste Artenvielfalt und Landschafts­qualität aller Lebensraumtypen in Deutschland“, sagt Bolte.

Wir wollen diese Zitate zum Anlass nehmen, zu fragen, welchen wissenschafltichen Informationswert die einzelnen Sätze haben und in einer erweiterten Betrachtung: „Was leistet eine moderne Forstpolitik-Wissenschaft? Was sollte sie leisten? Was leistet sie nicht?“

Das Thema sprengt in seiner Komplexität jede erschöpfende Möglichkeit einer Facebook-Seite. Es kann hier nur auf Aspekte hinweisen, über die nachzudenken sich als notwendig erweist, wenn wir Antworten haben wollen:

Was ist richtig und was falsch in Bezug auf welches Ziel? Was ist Fakt, was sind statistische Näherungen? Was sind Thesen, was Prognosen? Was sind Unsinnssätze wie die oben zitierten, was sind Sätze, die richtig, aber ohne Belang sind und eine Null-Information beinhalten, die dann in einen falschen Kontext gestellt wird?

Und bitte sehen Sie mir nach, wenn alles ein wenig komplizierter ist, als dass es einfachen ja/nein-Antworten zugänglich wäre. Ein wenig Mühsal mit dem Thema ist schon erforderlich – und der Blick über den Tellerrand des eigenen Paradigmas. Das habe ich auch lernen müssen und bin noch nicht am Ende angelangt.

Karl-Friedrich Weber

Foto: Karl-Friedrich Weber
Nach Definition der Bundeswaldinventur wird diese 35jährige Stieleichenplantage auf strukturzerstörtem alten Waldboden statistisch als ein naturnaher Bestand erfasst.

Stieleichenplantage auf zerstörtem Waldboden 10-1-2019


10. 01. 2019 :

Beiträge zum forstwissenschaftlichen Diskurs Nr. 2 – 2019

Was leistet eine Moderne Forstpolitik-Wissenschaft?
Peter Glück, AFZ 20/1977 S. 490 – 496

Ein über vierzig Jahre alter Artikel in der Fachzeitschrift AFZ macht deutlich, dass wir es nicht mit einem Diskurs über aktuelle Zeitgeist-Erscheinungen zu tun haben.

Kernaussagen, Zitate
zusammengefasst von Karl-Friedrich Weber

1. Was die Ideologiediskussion für die Politik ist, ist für die Forstpolitik-Wissenschaft die Diskussion über das ihr zugrundeliegende Theorieverständnis.

2. Von einer modernen Forstpolitik-Wissenschaft erwarten wir, dass sie den forstpolitischen Entscheidungsträgern die Voraussetzungen für rationales politisches Handeln liefert, das Wissen über die tatsächlichen Zusammenhänge in der Fortpolitik verbessert und auf diese Weise das politische Bewusstsein der Forstleute fördert.

3. Forstpolitikbegriff: Die forstpolitikwissenschaftliche Literatur ist voll von Definitionsversuchen.

4. Indem Forstpolitik in bestimmter Weise definiert wird, werden andere Fragestellungen ausgeschlossen oder zumindest zurückgestellt.

5. Ontologisch-normative Theorietyp: Der Politik-Wissenschaftler soll Aussagen über das Sein-Sollende machen. Realdefinition: Das, was man als Politik bezeichnet, existiert an sich und manifestiert sich im Wesen des Politischen.

6. Weil der Sinn des menschlichen Lebens bei Plato in der Verwirklichung des Guten und später bei den Scholastikern in der Führung eines tugendhaften Lebens als Vorbereitung für die christliche Vereinigung mit Gott gesehen wird, besteht das Wesen des Politischen in der „Sicherung und Ordnung des Zusammenlebens“. (GABLENTZ 1969, S. 486) Plato erwartet sogar von einer idealen Regierung, dass Regierende (Politiker) und Erkennende (Wissenschaftler) identisch sind.

7. An diese metatheoretischen Überlegungen schließt die herrschende klassische Forstpolitik-Wissenschaft unmittelbar an. Es findet sich in ihr immer wieder das normative Element der „Pflege und Förderung“ der Forstwirtschaft und damit die Sicherung der bestehenden und als gut befundenen Ordnung.

8. Möglicherweise wirkt hier noch die Ordnungsvorstellung von Thomas von Aquin nach, der die gute Ordnung in einer Gesellschaftsordnung auf der Grundlage feudalen Großgrundbesitzes gesehen hat.

9. Ähnlich wertbezogen hat sich NIESSLEIN beim Klagenfurter Symposium 1976 geäußert: „Die wissenschaftliche Forstpolitik soll Leuchtmunition in gesellschaftspolitische Entwicklungen schießen, durch welche die Holzproduktion gefährdet wird.“

10. Forstpolitik-Wissenschaftler, die sich dem ontologisch-normativen Theorietyp zugehörig fühlen – und das ist die überwiegende Mehrheit! – prägen die Forstpolitik bis in unsere Tage.

11. Nach DIETERICH (1953) obliegt es der Forstpolitik, „den Einklang verschiedener Funktionen ihrer materiellen und ethischen Ziele zu gewährleisten“. ANONYMUS Saufeder (AFZ 9-1976): „Den Forstleuten und insbesondere den Wissenschaftlern obliegt es, ein positives Klima zu schaffen, in dem die Freiheit des Waldbesitzes, die Freiheit der Jäger und die Freiheit der Steuerzahler zur einem walderhaltenden Kompromiss finden.

12. Indem bestimmte Ziele als die einzig wahren und berechtigten deklariert werden, hat sie zur Integration innerhalb der Forstwirtschaft, also zwischen Wissenschaftlern, Waldeigentümern und Dienstnehmern beigetragen. Magnifizenz WELAN spricht von „grüner Versäulung“: Die grüne (sprich forstliche) Säule ist die gemeinsame Plattform für die verschiedensten Interessen innerhalb der Forstwirtschaft.

13. Im Gegensatz zum ontologisch-normativen Theorietyp lehnen es die Vertreter einer empirisch-analytischen Politikwissenschaft ab, dass der Politikbegriff bereits ein vollkommenes Abbild der Wirklichkeit abgibt. Der Politikbegriff ist keine Realdefinition, sondern eine Nominaldefinition des Politischen: Er gibt nur an, was bei seiner Verwendung unter Politik verstanden werden soll, worauf die Fragestellung abzielt.

14. Ausgehend von diesem Politikbegriff ist es Aufgabe der modernen Politikwissenschaft, intersubjektiv überprüfbare Gesetzte und Theorien zu entwickeln, mit deren Hilfe die politische Wirklichkeit erklärt, vorausgesagt und gesteuert werden kann.

15. Aussagen, die von vornherein so formuliert sind, dass sie sich der intersubjektiven Überprüfbarkeit entziehen, werden als Ideologien eingestuft.

16. Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Wissenschaftlers, Hypothesen ständig der Überprüfung an der Wirklichkeit auszusetzen. Erkenntnisfortschritt über die Wirklichkeit erzielt man daher nicht, wenn man vorhandene Theorien zu verifizieren trachtet, sondern sie ständigen Versuch und Irrtum aussetzt.

17. Die Methode des kritischen Rationalismus ist rational, weil sie an die menschliche Vernunft und ihre Erkenntnismöglichkeit glaubt, und selbstkritisch, weil sie die Grenzen kennt; sie erhebt die Suche nach Irrtümern und deren Ausmerzung zum methodischen Prinzip.

18. Die empirisch-analytischen Politikwissenschaftler erheben keinen normativen Anspruch auf das praktische politische Handeln. Sie geben den Politikern keine Anweisung, wie sie handeln sollen, sondern ermöglichen Politikern, ihre Maßnahmen vorherzusagen und sie daher rational im Sinne einer optimalen Zweckerreichung einzusetzen.

19. Die empirische Überprüfung setzt voraus, dass die ihnen zugrunde liegenden Begriffe „operationalisierbar“ sind, d.h. so genau bestimmt werden, dass sie eine empirische Überprüfung der bezeichneten Sachverhalte zulassen. Die Operationalisierung soll intersubjektiv sein, d.h., dass alle, die nach den Anweisungen vorgehen, zum selben Ergebnis kommen.

20. Die Methode von Versuch und Irrtum des kritischen Rationalismus prägt nicht nur sein Wissenschaftsprogramm, sondern auch seine politische Philosophie. Sie lehnt jedes politische Wahrheitsmonopol ab. Die Lösungsvorschläge für ein Problem sind der Kritik auszusetzen und aus den Ergebnissen von Maßnahmen zu lernen.

21. Trotz des unleugbaren Erkenntnisfortschritts, den die moderne Politikwissenschaft dem kritischen Rationalismus zu verdanken hat, gibt es im Bereich der Forstpolitik-Wissenschaft erst wenige Vertreter. Den meisten Arbeiten liegt immer noch ein normatives Erkenntnisziel zugrunde.

22. Von einem forstpolitischen Konzept wird ein langfristiges Leitbild für das Handeln der Entscheidungsträger erwartet. Damit das Konzept rational ist, müssen seine „Grundsätze, Ziele und Methoden einen widerspruchsfreien Zusammenhang bilden“, es muss konsistent sein.

23. Der Wald kann verschiedenen Aufgaben (Ziele) erfüllen, die von den verschiedenen Interessengruppen innerhalb und außerhalb der Forstwirtschaft verschieden bewertet werden. Nur selten sind die Beziehungen der Ziele neutral oder harmonisch; die meisten Ziele konkurrieren miteinander.

24. Das Problem der Koordination der Entscheidungsträger wird dadurch gelöst, dass der Staat als einziger Entscheidungsträger betrachtet wird, dem die Forstwirtschaft gegenübersteht.

25. Kein forstpolitisches Konzept kann Aussicht auf Realisierung haben, wenn es keiner der politischen Parteien nützen kann, an der Macht zu bleiben oder Macht zu erlangen.

26. Das forstpolitische Konzept kann die spätere politische Entscheidung nicht erübrigen, sondern muss sie offen lassen, so dass noch einmal entschieden werden muss.

27. Planen heißt, Entscheidungen vorbereiten. In der Regel stehen dabei bestimmte Interessen im Vordergrund, deren Vertretung dem Planersteller besonders angelegen war.

Die Kielwassertheorie

28. Die Kielwassertheorie wurde 1960 vom Landesforstpräsidenten a.D. Hubert RUPF in seinem Festvortrag vor dem Deutschen Forstverein aus der Taufe gehoben. Sie behauptet, dass die Wohlfahrtswirkungen des Waldes im Kielwasser einer ordnungsgemäßen Waldwirtschaft erbracht werden. Die verschiedenen Dienstleistungen des Waldes werden als Koppelprodukte der Holzproduktion angesehen, die optimal erbracht werden, wenn die Forstwirtschaft prosperiert. Zielkonflikte verschiedener Leistungen des Waldes werden von vornherein ausgeschlossen, ohne dass sie empirisch überprüft worden wären.

29. Indem Zielkonflikte geleugnet werden, können vermeintliche Interessen der Holzproduktion besser durchgesetzt werden.

30. An die Kielwassertheorie als einer modernen Forstpolitik-Wissenschaft müsste die Erwartung gerichtet sein, dass sie als Theorie die Beziehungen zwischen Holzproduktion und Bereitstellung der Sozialleistungen des Waldes erklärt. Das geschieht aber nicht. Vielmehr wird das Primat der Holzproduktion gerechtfertigt.

31. Die Kielwassertheorie kann auch nichts beitragen zur Vorhersage von Handlungskonsequenzen, dafür aber zur Vorentscheidung von Handlungen, die der Holzproduktion dienen.

32. Die Kielwassertheorie beschränkt sich nicht auf eine Beschreibung von Zielen, sondern sie bewertet sie, und zwar vom Standpunkt der Forst- und Holzwirtschaft das Ziel der Holzproduktion am höchsten.

33. Aus allen diesen Gründen erfüllt die Kielwassertheorie nicht die Funktion einer Theorie, sondern einer Ideologie. Sie ist damit eine Ideologie.

34. Die Kielwassertheorie beruht auf dem Umstand, „dass die Motivationskraft von Werturteilen oft stark gesteigert wird, wenn sie nicht unter ihrer echten logischen Flagge, sondern in der Verkleidung als Tatsachenaussagen auftreten“ (TOPITSCH, 1972, S. 23). Damit eine Ideologie diese Funktion möglichst gut erfüllt, darf sie nicht widerlegt werden können.

35. Die Kielwasser- „Theorie“ hat mit ihrem empirischen Anspruch, dass sich alle Waldfunktionen vereinen lassen, echte empirische Untersuchungen über die tatsächlichen Beziehungen, die sogenannten Produktions- oder Transformationskurven, verhindert. Aus der bisher empirisch nur mangelhaft nachgewiesenen Konfliktsituation zwischen Holzproduktion, von der die Forstwirtschaft lebt, und der gesetzlich geregelten Bereitstellung der Dienstleistungen, die eine Belastung darstellt, leitet die Forstwirtschaft seit Jahren die Forderung ab, dass die Belastungen der Forstwirtschaft durch die Nutznießer abzugelten sind.

36. Hat nicht die Kielwasserideologie selbst zu der vom Standpunkt der Abgeltung unerwünschten Meinungsbildung in der Öffentlichkeit geführt, dass die Sozialleistungen des Waldes als positive externe Effekte („external economies“) der Holzproduktion anfallen und ihre Bereitstellung gar nicht verhindert werden könne, weil sie ja im Kielwasser einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft folgen?

37. Die Kielwasserideologie hat wie ein Januskopf zwei Gesichter: eines, dass dem Primat der Holzproduktion zulächelt und ein zweites, dass den Entschädigungsanforderungen der Forstwirtschaft finster entgegenschaut.

38. Viktor DIETERICH (1953) geht in seinem Buch „Forstwirtschaftspolitik“ bei der Lehrzielbestimmung vom Gemeinwohl aus – er nennt das „gesamtes Volkswohl“ – das er als Anhänger der historischen Schule in der Nationalökonomie als oberste Richtschnur der Forstpolitik anerkennt.

39. Das Gemeinwohl ist ständig in Gefahr, durch die Interessen einzelner Gruppen, wie bäuerliche Waldbesitzer, Großwaldbesitzer, Jäger, Naturschützer, Holzkäufer, Waldarbeiter, Förster, Forstakademiker usw. in Frage gestellt zu werden. Hier setzt die Lehre der Funktionsharmonie an: Da sich bei sachkundiger Planung und Waldbehandlung … die verschiedenen Ziele (Funktionen) der Forstwirtschaft unschwer verbinden lassen, können die forstlichen Interessen ohne Gefahr für das Gemeinwohl vertreten und durchgesetzt werden. Die Lehre von der Funktionsharmonie übernimmt also eine Legitimationsfunktion für forstliche Interessen.

40. Daraus ergibt sich das Lernziel der forstlichen Ausbildung: Sie soll die Studenten in die „lenkende Kunst der Einordnung berechtigter (sprich forstlicher) Belange … in die der übergeordneten Gemeinschaften“ (DIETERICH, S.22) einweisen. Die Studenten sollen durch wissenschaftliche Schulung auf die forstpolitischen Lenkungsaufgaben vorbereitet werden, damit sie als Forstwirtschaftsführer und forstliche Interessenvertreter „imstande sind, … im forstwirtschaftlichen Bereich so gut als möglich den Einklang zwischen verschiedenen Einzelbelangen und dem Gesamtwohl herzustellen“

41. Als geistiges Rüstzeug wird den Studenten die Lehre von der Funktionsharmonie mit auf den Weg gegeben, die ihnen in der forstpolitischen Diskussion helfen soll, die Priorität forstwirtschaftlicher Ziele zu verteidigen bzw. anzustreben.

42. Das Lernziel muss sein, den Studenten das Wissen und die Kenntnisse zu vermitteln, die eine realistische Analyse und Beurteilung der Forstpolitik erlauben und sie zu rationalem forstpolitischem Handeln befähigen.

43. Die moderne Forstpolitik-Wissenschaft unterscheidet sich auf der Grundlage des kritischen Rationalismus von der herrschenden Lehre durch ihren Wirklichkeitsbezug. Sie trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen, ideologische Verschleierungen durchschaubar zu machen und insgesamt die politische Urteilskraft der Forstleute zu stärken, also „aufklärend“ zu wirken.

Foto: Karl-Friedrich Weber
Habiatbäume aus einem FFH- und Vogelschutzgebiet auf dem Werthholzplatz

Habitatbäume auf Wertholzplatz 10-1-2019

Ich habe die Herkunft von etwa 300 Totholz- und Habitatbäumen in den vergangenen 15 Jahren in dem betreffenden Schutzgebiet und auf dem Wertholzplatz im Bild recherchiert und dokumentiert.


12. 01. 2019:

Beiträge zum forstwissenschaftlichen Diskurs Nr. 3 – 2019

Der SPIEGEL- (2/5.1.2019 berichtet und zitiert:

„So sehen das auch viele Forscher. „Ich kann nicht erkennen, dass die Forstwirtschaft die Habitatqualität ruiniert“, sagt Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde. Er beruft sich auf Daten der Bundeswaldinventur, einer Bestandsaufnahme des Waldes, die zuletzt 2012 durchgeführt wurde. Demnach wächst mehr Holz nach, als den Wäldern entnommen wird. Die Forste hätten die „höchste Artenvielfalt und Landschafts­qualität aller Lebensraumtypen in Deutschland“, sagt Bolte.
Auf diese Unsinnssätze in komprimierter Form wollen wir nicht noch einmal eingehen. Der Interpretation der Bundeswaldinventur und der Interpretation ihrer Ergebnisse durch den Cluster Forst in Bezug auf ökologische Merkmale stehen zahlreiche Analysen gegenüber, die zu ganz anderen Bewertungen kommen.

Eine der detailliertesten Auswertungen der BWI3 aus Sicht des Naturschutzes ist 2016 durch den renommierten Autor Norbert Panek im Auftrag von Greenpeace erfolgt.

Sie kommt u.a. zu folgendem kurzgefassten Befund:

„1. Der deutsche Wald ist im gegenwärtigen Zustand aufgrund seiner Baumartenanteile, Baumartenzusammensetzung und aufgrund der
Bewirtschaftungsintensität als weitgehend „naturfern“ einzustufen.
Nur vier Hauptbaumarten herrschen auf 72 Prozent der Gesamt-Holzbodenfläche vor. Selbst in den jüngeren Waldbeständen (Bestandsalter bis 60 Jahre) dominieren Nadelhölzer noch auf fast 60 Prozent der Fläche.

2. Der deutsche Wald ist in weiten Teilen ein junger, unreifer Wald. Alte, der potenziellen natürlichen Vegetation entsprechende Laubwälder (>160 Jahre) nehmen lediglich 2,4 Prozent der deutschen Waldfläche ein. Das fast vollständige Fehlen fortgeschrittener, vorratsreicher Altersphasen ist aus Naturschutzsicht und vor allem im Hinblick auf die Umsetzung der Biodiversitätsziele als dramatisch zu bezeichnen.“

Die Auswertung ist ein Fundus von Daten und Argumenten und eine Hilfe für ihre oft so schwierige Situation, vermeintlichen Experten entgegen treten zu können, deren dürftige Aussagen sich hinter ihrer institutionellen Position verbergen. Fragen sie doch einfach nach, ob die Recherchen Norbert Paneks faktisch widerlegt werden können. Auf die Antworten darf man gespannt sein.

Karl-Friedrich Weber

https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20160630_greenpeace_analyse_wald_bwi.pdf?fbclid=IwAR0Il_HITp6R_1oUhejCc3MrDORvuursWUrbrTemQcHF4qLwnzMeFNXVejo

Foto: Karl-Friedrich Weber

Schirmschlag-Buchenwald 12-1-2019 Diskurs Spiegel


Beiträge zum forstwissenschaftlichen Diskurs Nr. 4 – 2019

Der Forstwissenschaftler Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde beruft sich auf Daten der Bundeswaldinventur von 2012. Demnach wachse mehr Holz nach, als den Wäldern entnommen werde. Diese Unsinnsbehauptung wird vom Cluster Forst stereotyp wiederholt. Sie ist deshalb so unsinnig, weil sie selbst für den Fachkundigen nicht ohne weiteres erkennen lässt, auf was sich diese Aussage qualitativ bezieht. Viel weniger ist die Öffentlichkeit in der Lage, diese Behauptung bewerten zu können.

Das Umweltbundesamt kommt in seiner Analyse vom 1.11.2018 zu folgendem Ergebnis:

„Holznutzung nahe am Zuwachs
Angesichts der steigenden Holznachfrage in Deutschland wurde in der Waldstrategie 2020 der Bundesregierung das Ziel formuliert, den Wald als Kohlendioxid (CO2)-Senke zu erhalten und dazu die Holzernte maximal bis zum durchschnittlichen jährlichen Zuwachs zu steigern.

Die Waldgesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes macht deutlich, dass seit 2002 die Holzentnahme deutlich angestiegen ist und bereits ein Großteil des nutzbaren Zuwachses auch eingeschlagen wird.

Wurden im Jahr 1993 mit rund 51 Millionen Kubikmetern (Mio. m³) nur rund 49 Prozent (%) des nutzbaren Zuwachses auch tatsächlich genutzt, stieg die Holzentnahme bis zum Jahr 2007 auf 113 Mio. m³ an, was 112 % des nutzbaren Holzzuwachses entspricht. Dies war auch der bisherige Höchststand der Holzentnahme, bevor sich der genutzte Zuwachs nach 2009 auf Werte zwischen 80 und 90 Mio. m³ einpendelte (was in etwa 80 % des nutzbaren Zuwachses entspricht).

Im Jahr 2010 wurden größere Waldflächenanteile im Rahmen der Übergabe „Nationales Naturerbe“ an die Bundesländer, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt oder Naturschutzorganisationen übergeben und damit aus der Nutzung herausgenommen. Der Zuwachs dieser Flächen stand somit 2010 theoretisch zur Holzproduktion zur Verfügung, war aber aufgrund des in diesem Jahr vereinbarten Nutzungsverzichts nicht mehr nutzbar.

Hierdurch erklärt sich die große Diskrepanz zwischen Bruttozuwachs und nutzbarem Zuwachs und somit auch die Nutzung von rund 135 % des Zuwachses in diesem Jahr (siehe Abb. „Anteil der Nutzung des nutzbaren Zuwachses“).

Mit dem Berichtsjahr 2014 erfolgte eine methodische Umstellung bei der Erfassung des Holzuwachses und seiner Nutzung von der „Waldgesamtrechnung“ auf die sogenannten „European Forest Accounts“. Hierdurch ist die bisherige Zeitreihe nicht mehr unmittelbar mit der Zeitreihe ab 2014 vergleichbar.

Während die bisherige Zeitreihe den Bruttozuwachs darstellt, zeigt die Zeitreihe ab 2014 den Nettozuwachs.

Der Nettozuwachs wird aus dem Bruttozuwachs abzüglich der Mortalität berechnet.
Der Bruttozuwachs ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis der natürlichen Wachstumsprozesse und entspricht der biologischen Produktion.

Der nutzbare Zuwachs ist der Teil des Bruttozuwachses (bzw. ab dem Berichtsjahr 2014 des Nettozuwachses) auf den für die Holzproduktion verfügbaren Flächen, der nach Abzug von nicht verwertbarem Holz, Mortalität und des Zuwachses auf ungenutzten Flächen verbleibt.

Betrachtet man explizit den Nettozuwachs, dann ist noch deutlicher erkennbar, dass bereits nahezu der gesamte nutzbare Zuwachs in Deutschlands Wäldern auch genutzt wird.

So wurden im Jahr 2014 bereits 92 % des nutzbaren Nettozuwachses für die Holzproduktion verwendet, im Jahr 2015 stieg der Wert nochmals auf rund 95 % (siehe Abb. „Anteil der Nutzung des nutzbaren Zuwachs“).“

https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/nachhaltige-waldwirtschaft?fbclid=IwAR2sWMQykNje_yLQU8JfsPSF1c9hAQnf5lvEgP4eQE2xfkMZ0Ge9dUhK1xc#textpart-1


Beiträge zum forstwissenschaftlichen Diskurs Nr. 5 – 2019

Der Forstwissenschaftler Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde beruft sich auf Daten der Bundeswaldinventur von 2012. Demnach wachse mehr Holz nach, als den Wäldern entnommen werde. (SPIEGEL Nr.2/5.1.2019). Er beruft sich auf Erhebungen des Thünen-Institutes, dem auch er angehört und macht eine Aussage, die niemand in Zweifel gezogen hat. Was er mit dieser Aussage bezwecken will, kann offen bleiben. Der Diskurs auf den Beitrag Nr. 4 zeigt, wie unterschiedlich derartige Aussagen wahrgenommen werden, wenn sie nicht in einen Kontext gesetzt wurden, den jeder trotz unterschiedlicher Sichtweisen erkennen kann.

Wie Klarheit und Unklarheit sinnvoll herausgearbeitet werden könnten, zeigen nachfolgende Beispiele:

Nr. 02/2010 vTI Johann Heinrich von Thünen-Institut Hamburg 2010 stellt in seiner Schrift Nr. 02/2010 vTI fest:

„Die von der Bundesregierung initiierte Charta für Holz strebt eine Steigerung des Verbrauchs von Holz aus nachhaltiger Erzeugung in Deutschland an (BMVEL 2004). Ziel der Charta ist es hierbei, den Inlandsverbrauch bis zum Jahr 2014 auf 1,3 m³ (r) pro Kopf zu steigern.“

Das ist eine klare Aussage. Es geht um die Steigerung des Holzinlandsverbrauchs. Wenn die Indikatoren und Kriterien von Nutzungsnachhaltigkeit der Wälder angelegt werden, befinden wir uns in einem hochkomplexen Bereich, der gesellschaftspolitisch nicht annähernd entscheidungsreif geklärt ist. Auch das ist klar.

Die Clusterstudien der Länder sollten die Nutzungspotenziale für einen Prognosezeitraum von 30 Jahren beschreiben.

Die Clusterstudie Forst und Holz Niedersachsen von
Burkhard Rüther, Jan Hansen, Agatha Ludwig,
Hermann Spellmann, Jürgen Nagel, Bernhard Möhring, Matthias Dieter – (erschienen als Band 1 der Reihe „Beiträge aus der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt“ in den Universitätsdrucken im Universitätsverlag Göttingen 2007) ist ein Beispiel für wissenschaftlich korrektes Arbeiten in einem weitgehend unbestimmten Raum:

„Will man die Entwicklungsmöglichkeiten des Clusters Forst und Holz einschätzen, rückt aufgrund der Abhängigkeit des Clusters vom Rohstoff Holz die Frage nach dem noch ungenutzten Rohholzpotenzialen in den Vordergrund.

Daher wurden im vorliegenden Projekt auf der Grundlage der zweiten Bundeswaldinventur die Rohholzpotenziale für drei verschiedene Bewirtschaftungsszenarien abgeschätzt:

(1) „ertragsorientierte“,
(2) „naturnahe“ und
(3) „naturschutzorientierte“ Waldbewirtschaftung.

Die Ergebnisse zeigen, dass vergleichsweise moderate Änderungen in der Durchforstungsintensität und der Zielstärke bei konsequenter Umsetzung einen deutlichen Einfluss auf die Vorratshaltung und die Nutzungen haben.

Im Vergleich zur Ausgangssituation führt die Variante „naturnaher Waldbau“ zu einer leichten Vorratsabsenkung, die „Ertragsvariante“ zu einem deutlichen Vorratsabbau und die „Naturschutzvariante“ zu einem ebenso starken Vorratsaufbau.

Vergleicht man die aus den Szenarien resultierenden Rohholznutzungspotenziale mit den aktuellen Einschlägen aus der amtlichen Holzeinschlagsstatistik (zum Problem der Unterschätzung des Einschlages in der amtlichen Statistik siehe DIETER u. ENGLERT 2005), ergibt sich vor allem für die Periode 2008 bis 2011 noch ein einheitlich positives Bild (vgl. Abb. 43).

Es besteht ein deutlicher Potenzialüberschuss, der sich aus der Einbeziehung aller Stichprobenpunkte der BWI 2 in die Bewirtschaftung nach gleichen Regeln ergibt.

Für die Jahre danach sinken die Nutzungsmöglichkeiten allerdings für alle drei Szenarien ab und sie liegen beim „naturschutzorientierten“ Szenario ab 2012 zeitweise sogar unter dem Niveau des derzeitigen Holzeinschlages.

Aber bereits die Information über den aktuellen Zustand der Holzvorräte und Nutzungen in Niedersachsen sind mit Unsicherheiten behaftet.

Letztendlich geht es aber nicht primär um die Zahlen der Vergangenheit, sondern um die der Zukunft.

Die Daten der Clusterstudie sollen nach dem Prinzip
wirken: „Zahlen stellen nur Fragen, Antworten müssen gefunden werden“!“

Der letzte Satz beinhaltet die Aussage, dass Antworten noch nicht gefunden wurden und prinzipiell keine Endgültigkeit beanspruchen können.

Mit diesen Feststellungen, die zumindest eine partielle Defizitanalyse einschließen, lässt sich etwas anfangen.

Wissenschaft ist das infrage stellen von Thesen im kritischen Diskurs. Zahlengläubigkeit und Unanstastbarkeit wissenschaftlicher Institutionen gehören nicht dazu.

Karl-Friedrich Weber

Foto: Karl-Friedrich Weber
Vollbaumnutzung

Vollbaumnutzung 13-1-2019


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein "Lotse" durch den Info-Dschungel zur Wald-Problematik in Deutschland