12. 08. 2012 :
Heutige Forstwirtschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Fortsetzung der Auszüge aus einem Vortrag von Karl-Friedrich Weber:
Heutige Forstwirtschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Göttingen, 14. Juni 2010
Symposium der HAWK-Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen
Fakultät Ressourcenmanagement
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(zum Gegensatz von Produktivität und Rentabilität in der Forstwirtschaft)
Wo stehen wir heute?
Eigentlich da, wo die Gesellschaft und ihre Vordenker vor über hundert Jahren auch standen.
Goethe lässt Faust sagen:
„Original fahr hin in Deiner Pracht. Wer kann was dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht?“
Der Anspruch wurde damals klar herausgearbeitet, die Widersprüche erkannt. Sie sind prinzipiell zeitlos und gelten auch heute noch.
An den Handlungsmustern hat sich trotz wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts und einer Weiterentwicklung gesellschaftlicher Ziele fast nichts geändert.
Die Anstaltsgesetze (Niedersachsen) oder ähnliche privatwirtschaftlich tendierende Konstrukte des öffentlichen Waldes beinhalten in sich einen unauflösbarer Widerspruch von Rentabilität und Produktivität. Deshalb werden mit ihnen weder die nationalökonomischen Ziele noch die der verfassungsgemäßen Schutzziele nachhaltiger Ressourcensicherung erreicht.
Wie wird der notwendige Diskurs geführt? Als ein kritischer Rationalismus mit seinem Weg zur Annäherung an die Wahrheit?
Welche Ethik ist Grundlage unseres Wirkens?
Sind die Prinzipien von Redlichkeit und Moral bewusste Begleiter aller Handlungen? Gibt es verbindliche Tugenden? Wenn ja, welche?
Was bedeuten sie, wie unterscheiden sie sich, welche Folgerungen haben wir zu ziehen?
Wie steht es mit der Erfahrung? – Waldwissenschaft ist eine Erfahrungswissenschaft.
Wie gestaltet sich eine produktive Fehlerkultur im Sinne Karl Poppers, die Fehler auf ihre Ursachen untersucht, statt sie mit bombastischen Phrasen zu vertuschen?
Forestry at its best?
Kann dieser vielleicht dümmste aller PR-Slogans (Nds. Landesforsten) auf vernunftbegabte Menschen eine Wirkung entfalten? Was und wen aber will man dann mit ihm erreichen?
Wir verlieren uns im Wust gesammelter Informationen, die wir nicht in die vernünftige Betrachtung des Ganzen einordnen können und verlieren dadurch auch Erkenntnisse, weil der Verstand, zumal der Fachverstand, dem wir so huldigen, nur das Detail denkt. Wir nennen das Versuchswesen. Wahrheitsbringer sind demzufolge die Versuchsanstalten.
Ich weiß, dass ich nichts weiß und das nur ungefähr. Die Erkenntnis des Sokrates wurde von Karl Popper zum kritischen Rationalismus weiterentwickelt – als eine mögliche Form des Denkens.
Wir verwechseln weiterhin Rentabilität und Nutzen und verlieren damit die elementaren Ziele aus den Augen, die Grundlage unseres dienenden Auftrags sind.
Produktionswert des Waldes heißt heute wie damals, die Nutzbarkeit der Naturgüter zu erhalten. Es ist der Generationenauftrag des Wirtschafters. Der Wirtschafter ist das Volk.
Der öffentliche Wald ist der Wald der Bürger, also ein Bürgerwald, kein Försterwald, kein Naturschutzwald, kein Wald, der Partikularinteressen gleich welcher gesellschaftlichen Gruppe auch immer dienen kann.
Alle haben nur eine partielle Kompetenz.
Der Boden unter unseren Füßen schwimmt. Man nennt das Unsicherheit. Diese Unsicherheit wächst. Das ist gut so. Sie nimmt uns den Hochmut.
Nur aus Unsicherheit kann positiver Fortschritt erwachsen – und wirkliche Verantwortung!!
Aus dieser Einsicht erwächst das erforderliche Maß an Bescheidenheit, das der Diskussion im Cluster Forst und Holz derzeit fehlt. Dieses Defizit ist eine der Hauptursachen des zunehmenden Dissenses zur Gesellschaft, die viele so verstört, weil sie in der Befangenheit ihrer Denkschablonen das Phänomen nicht verstehen.
Aber auch der privateigene Wald unterliegt dem verfassungsgemäßen Nutzen für die Allgemeinheit im Rahmen der verpflichtenden Sozialbindung, wenn auch in anderer Ausprägung.
Vielleicht ist das die einzige Fortentwicklung der gesellschaftlichen Ordnung von der Verpflichtung des Hauswirtschafters im Deutschen Reich der Kaiserzeit zur heutigen Verantwortung in der parlamentarischen Demokratie.
Wissenschaft und Versuchswesen, Betriebe und Verwaltungen sind Diener und haben keine Meinungshoheit. Sie haben eine Sorgfaltspflicht bei dem Produkt, das sie abzuliefern haben – keine Verantwortung.
Die hat nur der Wirtschafter, das Volk. Es belehnt die zuständigen verfassungsgemäßen Organe mit dieser Verantwortung auf Zeit.
Es hat sich einiges verschoben im Machtgefüge des Staates, das wieder neu zu justieren ist. Wem das bewusst ist, der wird künftig dabei sein, wem nicht, der arbeitet aktiv an seinem Bedeutungsverlust und sollte nicht nach Schuldigen suchen.