Die vielzitierte „Gute fachliche Praxis“ der „nachhaltigen, ordnungsgemäßen Forstwirtschaft“ ist noch nirgends definiert. Die Forst&Holz-Interessengruppen sind an einer klaren Definition naturgemäß nicht interessiert, und torpedieren und blockieren entsprechende Vorhaben seit Jahren. Nicht anders verhält es sich mit der von den Naturschutzverbänden schon seit Jahren geforderten Novelle des Waldgesetzes. Auch fehlen Definitionen für forstwirtschaftliche Fachbegriffe wie „alter Wald“, „Lochhieb“, „Kahlschlag“ etc.
Zurück zum Thema:
Wie sollte die „Gute fachliche Praxis“ festgeschrieben werden?
Hierzu Gedanken von Karl-Friedrich Weber aus seiner Facebook-Seite „Waldwahrheit“
22. 09. 2018:
Überlegungen zur Definition einer guten fachlichen Praxis in der Forstwirtschaft – Stand September 2018
Karl-Friedrich Weber
1. Es gibt für die deutsche Forstwirtschaft keine Definition einer verbindlichen guten fachlichen Praxis. Deshalb unterliegt sie im gegenwärtigen Diskurs der beliebigen Auslegung von Gruppeninteressen.
2. Es gibt keine für die deutsche Forstwirtschaft allgemein forstwissenschaftlich anerkannte Definition für Naturnähe. Folglich ist das politische Ziel einer naturnahen Waldwirtschaft im Grad seiner Umsetzung nicht überprüfbar, weil hierzu die verbindlichen Maßstäbe fehlen.
3. Auf der konzeptionellen Ebene ist die ökonomisch geprägte Kontroverse zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit von zentraler Bedeutung. Während die Konzeption schwacher Nachhaltigkeit fordert, die Kapitalbestände einer Gesellschaft in ihrer Summe konstant zu halten, aber weitgehende Substitutionsprozesse zwischen Human-, Sach- und Naturkapital erlaubt (Drei-Säulen-Modell), fordert die Konzeption starker Nachhaltigkeit als Gegenmodell zum Drei-Säulen-Modell die Naturkapitalien unabhängig davon zu erhalten, wie andere Kapitalbestände sich entwickeln. (OTT, 2016)
4. Das Drei-Säulen-Modell wurde 1998 im Abschlussbericht der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“ vorgestellt und erfasst drei definierte Dimensionen: ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Sie spiegelt sich in den forstwirtschaftlichen Zielen der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit von Nutz-, Schutz- und Erholfunktion wider. Dieses Modell ist nicht falsifizierbar. Wegen der ungenauen Definitionen ist es nicht möglich, konkrete und verbindliche Handlungsmöglichkeiten aus dem Modell abzuleiten. Es fehlt die Priorisierung der Ökologie als Basis für menschliches Leben. Der Waldkonflikt ist deshalb bisher nicht gelöst und so auch nicht lösbar. Die Gewichtung der Belange wird von den jeweilig durchsetzbaren Interessen zumeist wirtschaftlicher Art bestimmt, was dann stets auch im Einklang mit den Zielen der Forstwirtschaft begründet werden kann. Lösungsversuche wie der Handel mit Emissionsrechten und andere marktbasierte Lösungen (grüner Kapitalismus) sind gescheitert.
5. Die starke Nachhaltigkeit als Gegenkonzept zum Drei-Säulen-Modell geht auf Konrad Ott und Ralf Döring zurück. Es legt den Schwerpunkt auf die Ökologie. Es gibt einen Grundbestand der Ressourcen der Natur, die geschützt werden müssen. Diese Ressourcen werden als nicht austauschbar angesehen und müssen deshalb unter allen Umständen geschützt werden. Ihre Leistungsfähigkeit soll dauerhaft erhalten oder wieder regeneriert werden, wo sie vermindert wurde.
6. Die gesellschaftliche Aufgabe ist u.a., die dauerhafte Sicherung der Naturgüter und ihrer Leistungsfähigkeit für die Menschheit und als Eigenwert an sich zu erreichen.
7. Die Leistungsfähigkeit der Naturgüter zum Nutzen der menschlichen Gesellschaft ergibt sich auf naturgesetzlicher Grundlage, auf der Grundlage der Thermodynamik (insbesondere des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik – Entropie) sowie der Zunahme von Komplexität lebendiger und unbelebter natürlicher (chaotischer) Systeme (Negentropie).
8. Vorrangige Aufgabe ist es, die Grenzbedingungen eindeutig zu definieren, wann ein dauerhafter Erhalt und damit die Leistungsfähigkeit der Naturgüter nicht mehr gewährleistet sind. Ziel ist die Vermeidung einer Überschreitung der Grenzbedingungen.
9. Dem Maß des vermuteten Unwissens entsprechend, gebietet das Vorsorgeprinzip eine Sicherheitbetrachtung. Hierfür sind normative Annahmen in die gesellschaftspolitische Abwägung einzustellen.
10. Es sollte der Schutz der Umweltressourcen im Sinne starker Nachhaltigkeit als Voraussetzung für ökonomische und soziale Nachhaltigkeit Priorität erhalten.
11. Besondere Bedeutung hat dabei die Resilienz der Kulturwaldökosysteme (Altersklassenwald versus Dauerwald)
12. Die Ressource Wald ist als umfassendes Naturgut und als ein Teil der Biosphäre zu sehen. Sie umfasst die Schutzgüter Boden, Wasser, Luft, und die Biodiversität sowie die Biozönosen und Ökosysteme. Die Forstwirtschaft ist lediglich ein Teil des Nutzungsspektrums und hat somit eine Teilzuständigkeit für den Wald neben anderen.
13. Die Definitionen der einzelnen Grenzbedingungen entsprechen dem Maß der notwendigen Minimierung von Eingriffen in die Schutzgüter. Das gilt insbesondere für den Bodenschutz, den Schutz des Wasserhaushaltes und den Grad der Naturnähe des Waldökosystems.
14. Gegenwärtige betriebswirtschaftliche Bedingungen oder Aspekte der Rentabilität sind für die gestellte Aufgabe von nachrangiger Bedeutung und überwiegend ohne Relevanz.
15. Eine eindeutig interpretierbare Definition der wesentlichen Ziele und Grundsätze (Prinzipien) ist zu erarbeiten.
16. Ebenso sind eindeutige Definitionen für forstwirtschaftliche Fachbegriffe (alter Wald, Lochhieb, Kahlschlag etc.) vorzuschlagen und zu diskutieren.
Karl-Friedrich Weber
kweberbund@aol.com
0170 730 4093
Fotos: Karl-Friedrich Weber
Beispiele waldressourcenzerstörender forsttechnischer Praktiken aus FFH-Gebieten, die in den niedersächsischen Landesforsten als LÖWE-gerecht und vorbildliche gute forstfachliche Praxis gelten.
Hier weitere Beispiele: