Aus der Facebook-Seite „Waldwahrheit“ von Karl-Friedrich Weber
21. 11. 2019:
Zwischen Forstgeschichte und Geschichtsklitterei – die Erfindung der Nachhaltigkeit
Teil 1
Forstgeschichte ist ein wichtiger forstwissenschaftlicher Aspekt der Erfahrung. Sie kann auch wesentlich zur Identität des Forstwesens beitragen.
Geschichtsklitterei ist die bewusste Verfälschung geschichtlicher Ereignisse. Sie kann die Glaubwürdigkeit in die positive Identität des Forstwesens nachhaltig erschüttern, wenn daraus Mythen konstruiert werden, die vorwiegend dazu bestimmt sind, der Selbstdarstellung zu dienen und durch häufige Wiederholung zu einer Wahrheit werden soll, die nicht mehr hinterfragt wird.
Dass die Nachhaltigkeit vor dreihundert Jahren erstmalig durch die Forstwirtschaft eingeführt wurde, ist so ein Mythos, der in kaum einer Selbstdarstellung fehlt. Ist er wahr? Ist er noch steigerungsfähig?
Prof. Dr. Daniela Ludin, Prof. für Recht, Umwelt- und Forstpolitik an der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg schrieb im Magazin „STIFTUNG“ 3/10 – 2019: „Waldinvestments sind hochspekulativ und nicht per se nachhaltig.“
Prof. Dr. Thomas Knoke von der TU München, Fachgebiet für Waldinventur, führte im Gegensatz zu Frau Ludin in derselben Ausgabe aus: „Einem gekonnt bewirtschafteten Wald kann im Vergleich zu anderen Investments Nachhaltigkeit tatsächlich attestiert werden.“
Damit das glaubwürdiger klingt, führt er weiter aus: „Schließlich haben Forstwissenschaftler einst das Nachhaltigkeitsprinzip erfunden.“
Damit sind wir bei der Frage: Standen Förster und ihre Forstwirtschaft an der Wiege des Nachhaltigkeitsgedankens? Waren Forstwissenschaftler die Erfinder?
Wie gehen auf die Suche.
Als der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz 1713 mit der Sylvicultura oeconomica das erste geschlossene Werk über Forstwirtschaft vorlegte, schuf er auch ein politisches Buch, das sich für Generationengerechtigkeit einsetzt. Förster standen in seiner Zeit noch in eher zweifelhaftem Ruf als Vollzieher des Willens ihrer Herrschaft, bei der sie in Lohn und Brot standen.
Carlowitz schrieb:
„… wird derhalben die Größte Kunst, Wissenschaft, Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, daß es eine kontinuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe, weil es eine unentbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben kann.“
Carlowitz prägte den Begriff der Nachhaltigkeit, der an dieser einzigen Textstelle verwendet wird, war aber nicht deren Erfinder.
So schreibt er in kluger Selbstbescheidenheit: „Es ist so wohl das Säen der wilden Bäume / als auch die Xylotrophia oder das Pflantzen / Versetzen / Ausschneiden / Ausputzen nebst anderer Wart- und Pflegung derselben nicht by unserm Gedencken entstanden / sondern ohne Zweifel viel Secula her und bey derer Alten und unserer Vorfahren Zeiten, wie aus ihren Schriften zu colligieren, ja von Anfang der Welt her bekannt und im Brauch gewesen … „
Von dieser Selbstbescheidenheit des Hans Carl von Carlowitz sind diejenigen nicht, die sich heute die „Erfindung der Nachhaltigkeit“ auf die stolzgeschwellte Brust schreiben und die Prof. Dr. Thomas Knoke noch zu einer „Erfindung“ der Forstwissenschaft steigert.
Teil 2
Dass der Beginn der forstlichen Nachhaltigkeit selbst Carlowitz nicht für sich in Anspruch nahm und wenn, dann ohnehin wesentlich auf die Holznachhaltigkeit am Beginn des aufblühenden Merkantilismus für eine gesicherte Industrieversorgung mit Grubenholz und Energie zur Erzverhüttung, Glaschmelze oder Salzsiederei bezog, war Forsthistorikern bereits klar, bevor der Begriff der Nachhaltigkeit Anfang der 1990er Jahre seine allgemein gebräuchliche Entwicklung nahm.
So stellte der Forsthistoriker und Forstmann Winfrid Schubart hierzu 1966 fest:
„Nur unter Berücksichtigung einer solchen vielseitigen Beanspruchung kann Wald- und Forstwirtschaft früherer Zeiten richtig verstanden und beurteilt werden.
Das sei hier betont zum Ausdruck gebracht gegenüber einer häufigen, allzu schnell und allzu leicht selbst in Fachkreisen geübten Kritik an früherer Waldwirtschaft, oft in einer Härte, als sei von unseren Vorfahren nur Raubbau am Wald betrieben worden.
Meist liegt Unkenntnis der Dinge vor. Verantwortung, Ordnung, Recht und Nachhaltigkeit in Angelegenheiten des Waldes als Regel, Raubbau und meist sehr kurzfristige Verwüstungen, wenn kriegerische Ereignisse, Rechts- oder Besitzstreitigkeiten oder Naturextreme eingriffen.“
Winfried Schubert führte in „Die Entwicklung des Laubwaldes als Wirtschaftswald zwischen Elbe, Saale und Weser“ (Aus dem Walde 1966, Heft 14, M.u.H. Schaper, Hannover) weiter aus:
„Wie weit der Mensch auch Einfluss auf die Gestaltung und Entwicklung des Laubwaldes nahm, eine Grenze wurde durch alle Jahrhunderte niemals überschritten. Man blieb bei einem natürlichen oder naturnahen standortgebundenen Wald, in dem man zwar die Natur der Wirtschaft dienstbar machte, sie aber im Grundsätzlichen nicht störte oder verließ.
Nun, mit der Einführung des reinen, gleichaltrigen Hochwaldes geschah etwas neues, bisher nicht dagewesenes. Man veränderte die natürliche Verteilung von Laub- und Nadelholz und regelte sie künstlich im Rahmen der wirtschaftlichen Planung.
Dabei verlor der Laubwald seine bisherige, bei weitem vorherrschende Verbreitung. Er wurde überall zurückgedrängt oder ganz verdrängt und ist heute auf dem Wege, als reiner Laubwald nur noch eine untergeordnete Rolle in der Wirtschaft zu spielen.
Soweit Laubwald erhalten geblieben ist, wird er immer mehr zu einem nach Herkunft und Aufbau künstlich gestalteten und naturentfremdeten Wald.“
Ist also mit dem Beginn der behaupteten Holznachhaltigkeit nicht vielmehr die Chance einer Ressourcennachhaltigkeit standortheimischer Laubwälder selbst nach Übernutzungsphasen verringert worden oder ganz verloren gegangen?
Oder zeigt sie sich heute im Zeichen zusammenbrechender Nadelmonokulturen und naturferner Altersklassenwälder sowie Bodenzerstörungen durch den Einsatz der Großmaschinentechnik in ihrer Folge als ein jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertelanger forstwirtschaftlicher Irrweg?
Wir lassen hier diese Frage offen und bleiben bei der forstwissenschaftlichen Betrachtung.
Teil 3 und Schluss
Auch der Forstgeschichtler und Fachbuchautor Joachim Hamberger widerspricht dem heutigen Standard-Mythos eines Beginns der Nachhaltigkeit durch Forstleute vor dreihundert Jahren. (Nachhaltigkeit – eine Idee aus dem Mittelalter? LWF aktuell 37 (2003), S. 38-41 – Online-Version 2015)
Er führt aus: „Der Wald, der heute multifunktional ist, hatte im Bewusstsein der damaligen Menschen eine reine Wirtschaftsfunktion“.
Der Begriff der Nachhaltigkeit sei in der Zeit der Aufklärung verwendet, was nur für das Wort an sich gelte. Nachhaltiges Handeln und das Bewusstsein um das Prinzip der Nachhaltigkeit seien jedoch schon viel älter. Bereits in der Bibel seien solche Prinzipien genannt. Die Idee, so Hambacher, habe vorindustrielle Wurzeln.
Von Förstern in heutigem Sinne war da noch weit und breit nichts zu sehen. Der Nürnberger Patrizier Peter Stromer „erfand“ zum Beispiel die Nadelholzsaat. Die zündende Idee hatte er 1368. Erstmals säte ein Mensch auf unbestockten Kahlflächen bewusst Kiefernsamen aus, um Holz nachzuziehen. Die Saat von Nadelholz wurde zu einem florierenden Industriezweig der alten Reichsstadt Nürnberg, der nicht nur die eigenen Wälder wiederbestockte, sondern auch zum Exportschlager wurde und in ganz Europa Bestätigung fand.
Hambacher fasst zusammen:
„Der Begriff Nachhaltigkeit wurde im 18. Jahrhundert in der Forstwirtschaft eingeführt. Das Grundprinzip wurde bereits in der Markgenossenschaft entwickelt und im mittelalterlichen Nieder- und Mittelwald praktiziert. … Das Prinzip der forstlichen Nachhaltigkeit stammt damit zum einen aus der bäuerlichen Allmende, zum anderen aus der mittelalterlichen, städtischen Frühindustrie.“
Und Prof. Thomas Knoke und sein Traum von der Erfindung des Nachhaltigkeitsprinzips durch Forstwissenschaftler? Diesen Traum hat er wohl geträumt, als er noch auf dem Seerosenteich seliger Unbedarftheit schwamm.
Wo dreiste Geschichtsklitterei beginnt, überlasse ich dem Urteil des Lesers.
Karl-Friedrich Weber