Trockene Zeiten
ein Rundgang durch den Rieseberg – der Anfang
Aus größerer Entfernung sind im Waldrand einzelne Bäume im trockenen Laub zu sehen. Beim Näherkommen relativiert sich das.
Ich trete von Norden kommend über den Rotenkamper Stieg in den Wald ein. Die Winterstürme der letzten fünf Jahre haben ihre Spuren in den bis dahin relativ geschlossenen alten Buchenkronen hinterlassen. Kronen- und Starkastbruch haben Störungen erzeugt, in deren Lichtschächten sich eine vitale Verjüngung entwickelt hat.
Getroffen hat es vor allem die Buche. Die gleichaltrige Traubeneiche mit gesunden aber oft fahnenförmigen Kronen profitierte von den Einwirkungen. Sie hat neuen Raum gewonnen und wird möglicherweise noch viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ein Glied dieses Waldes bleiben können.
Trockene Zeiten
Ein Rundgang durch den Rieseberg – Fortsetzung
Ich verlasse nach kurzem Weg den Rotenkamper Stieg und stehe in einer anderen Situation. Einzelne Altbuchen haben deutlich kleine Blätter und wirken verlichtet. Andere Buchen weisen diese Merkmale nicht auf. Der Kronenbruch der vergangenen Stürme hatte auch hier bereits Störungen verursacht.
Ein kleinräumiges Mosaik von Verjüngungspatches unterschiedlichen Alters hat bereits eine Ungleichaltrigkeit in drei bis vier Bestandesschichten eingeleitet, wie wir sie als ideales Ziel beschreiben und vertreten. Selbst wenn die kleinblättrigen Buchen bei fortgesetzter Trockenheit abstürben, käme es wohl zu keinen flächigen Auflichtungsprozessen.
Zunächst scheint es so, als ob die Buchen durch Verkleinerung der Blattoberflächen ihre Transpiration herabsetzen, erkauft mit einem Zuwachsverlust.
Und ich erkenne: Seit Jahrzehnten trifft die Natur in diesem Wald eine Wahl, wie ich sie als Forstmann nie hätte treffen können – weil sie den Zufall zulässt und ich in meinen rudimentären Wissensvorstellungen befangen bleibe.
Trockene Zeiten
Ein Rundgang durch den Rieseberg – Fortsetzung 2
Nach wenigen Metern ein deutlich anderes Bild. Der Bestand mit gedrängtem Kronenschluss, weitgehend ohne Sturmbruchstörungen und nur mit einzelnen lichteren Buchenkronen – entsprechend dunkel. Die flächige Verjüngung wartet geduldig, wie seit Jahrzehnten – solange, bis der Zufall die Situation verändert.
So entsteht Ungleichaltrigkeit!
Aber wird nicht immer wieder gefolgert, geschlossene Bestände erhöhten die Konkurrenz um das knappe Wasser?
Oder ist es etwa vielleicht ganz anders, unter anderem dadurch, dass im komplexen Wechselspiel von Transpiration, Evaporation und Phasenwechsel des Wasser als ein Ergebnis der Umwandlung der Sonnenenergie in latente Energie die Kühle in Wäldern erzeugt wird, die nicht als Wärme empfunden und bei Unterschreitung des Taupunktes dem System wieder verfügbar gemacht wird?
Wenn das so ist, trägt dann nicht unsere Altersklassen-Forstwirtschaft mit ihren permanenten Unterbrechungen des Kronendaches und ihrer unnatürlichen Wärmeleitung in das Innere der Bestände zur Destabilisierung der Wirtschaftswälder unter Grenzbedingungen wie Trockenzeiten bei?
An meinem Standort im Rieseberg erkenne ich noch keinen Beweis, aber ein Indiz als das Ergebnis einer fachlich begründeten und in sich schlüssigen Überlegung.
Trockene Zeiten – Fortsetzung 4
Ich bin am Unterhang angelangt. Hier haben die Stürme aus Nordwest stärker gerüttelt, und mancher alte Riese hat sich dadurch schlafen gelegt. Hier zeigt sich der Erfindungsreichtum unserer Wälder, wenn es um die Fortsetzung von Lebendigkeit geht. Das Leben ist Robust.
Da stirbt nichts, wie wir so leichtfertig behaupten. Alles verändert sich – das ist alles. Für unsere zweckgerichteten Vorstellungen bleibt da wenig Raum.
Die Winterlinde treibt Wurzeln und Sprosse aus ihrem liegenden Stamm. Die Elsbeere erfreut mich durch ihre vitale Wurzelbrut. Der Waldboden ist von Verjüngung der Eichen, Buchen, Hainbuchen, Eschen, Feld- und Bergahorn und Vogelkirsche übersät.
Ich höre bereits das Argument, die Eiche habe dabei keine Chance wegen ihrer Lichtbedürftigkeit. Wirklich nicht? Sie hat doch Jahrhunderte Zeit. Nach Millionen erfolglos gekeimten Eichen werden einige wenige irgendwo in diesem Wald auf die Zusammenführung glücklicher Zufälle treffen, die es ihnen ermöglicht, weiter zu existieren. Deshalb ist unsere Eiche so langlebig. Da bekommt alles seinen Sinn.
Die Alternative wäre die Eichenmonokultur unserer Tage, die ihre Unwirtschaftlichkeit bereits in der Eingangsinvestition und folgenden Steuerungseingriffen für die Dauer ihres Bestandes festschreibt. Der Zinseszinseffekt ist unerbittlich. Und dem Eichenprozessionsspinner erwachsen überall neue Schlaraffenländer.
Trockene Zeiten – ein (vorläufiges) Schlusswort
Mit diesem Foto möchte ich meinen kleinen Rundgang in der Abteilung 213 b des heutigen Naturwaldes Rieseberg beenden.
Er hat eine Stunde gedauert einschließlich stehen, schauen, nachdenken und sich den Glücksgefühlen hingeben, die beim Schauen so kommen.
Zählen wir die Baumarten auf einem Quadratmeter Naturverjüngung in diesem Bild. Sie sind da, obwohl in diesem Wald wahrscheinlich seit Jahrhunderten nicht gepflanzt wurde.
Unter ihnen wird es Pflanzen geben, deren Genotyp und unfassbar große phänotypische Variationsbreite die Anpassung an alles bewirken werden, dem unsere Wälder künftig ausgesetzt sind. Manches wird sich verändern.
Ganz ohne gestaltende Eingriffe werden viele unserer am Boden liegenden Altersklassen-Wirtschaftswälder nicht auskommen. Die gegenwärtige Diskussion, in der es vor allem um Geld geht, lässt befürchten, dass einmal mehr aus dem Blick gerät, worauf es ankommt.
Aber vielleicht irre ich mich. Das wäre mein Wunsch, mit dem ich mich bei Ihnen in die Sommerpause verabschieden möchte. Über meine Irrtümer werde ich stets berichten, weil wir nur so lernen können.
Ich wünsche allen Lesern dieser Seite eine schöne Sommerzeit und bin im September wieder an Bord – sofern nicht der unwahrscheinliche Zufall eintrifft, dass uns die Themen ausgegangen sind. ?
Ihr Karl-Friedrich Weber
Das Naturwaldreservat befindet sich in Abteilung 206 a3 und nicht in 213 b. Ein Wald, in dem seit über fünfzig Jahren keine Holznutzung erfolgt und der heute in die Nichtwirtschaftswald-Kulisse aufgenommen ist (NWE-10), wird deshalb nicht zum Urwald, kann aber in seinem ökologischen Zusammenhang als Naturwald bezeichnet werden.
Es handelt sich um kein Naturwaldreservat im Sinne des zitierten Erlasses, sondern um einen Wald, der sich in der Naturwaldentwicklung befindet und in dem auch Forstfachleute bereits jetzt viel lernen können.